Serial
betrachtete dann das Cover. » Sein erster Roman. Das ist gut.«
» Warum?«
» Weil ihn dann niemand kennt und vermissen wird. Also, wo ist dein Zeug?«
» Da drüben. Warum?«
» Das packst du jetzt zusammen, und dann kommst du mit mir.«
» Nein.«
» Lucy, du kannst nicht hierbleiben.«
» Aber mit Ihnen komme ich auch nicht mit.«
» Hör zu. Hat es dir Spaß gemacht, Mark die Kehle durchzuschneiden und dich in seinem Blut zu wälzen?«
» Ja.«
» Möchtest du so etwas vielleicht noch mal machen?«
» Ja.«
» Dann solltest du jetzt die Ohren aufsperren. Wenn man dich in diesem Zimmer erwischt– mit dem Toten in der Dusche–, werden sie dich hinter Schloss und Riegel bringen. Darauf kannst du dich verlassen.«
» Aber ich bin noch nicht volljährig.«
Orson ging wieder zum Bett und setzte sich neben Lucy. » Sieh mich an.« Sie tat es. » Ich mache das schon ein wenig länger als du. Wenn du jetzt schlau bist, hörst du mir zu, vielleicht kannst du sogar etwas von mir lernen.«
» Wie viele Menschen haben Sie schon ermordet?«, fragte Lucy neugierig.
» Genug, um zu wissen, dass du jetzt auf der Stelle von hier verschwinden solltest.«
Sie folgte Orson den Flur entlang bis zum ersten Appartement nach der Eismaschine.
» Das ist eine Suite mit zwei Zimmern«, erklärte er, als er die Tür öffnete und sie hereinließ. » Mein Kumpel schläft im anderen Zimmer, und ich möchte nicht, dass wir ihn aufwecken. Ich glaube, man kann das Sofa hier ausziehen.«
Sie stellte den Gitarrenkoffer auf den Boden neben sich und half Orson, das Schlafsofa herzurichten. Dann nahm er eine Decke von seinem Bett und warf sie Lucy zu.
» Ich will ehrlich mit dir sein«, meinte er. » Ich mache mir ein wenig Sorgen, dass du mir die Kehle durchschneiden könntest, sobald ich mich schlafen lege.«
» Das werde ich nicht«, antwortete sie.
» Dann kannst du mir dein Rasiermesser geben– nur um auf Nummer sicher zu gehen.«
» Glaubst du mir etwa nicht?«
» Ich kenne dich nicht, Lucy.«
Sie lag noch lange wach und fragte sich, was der nächste Tag wohl bringen würde, der letzte Tag der Konferenz, und in gewisser Weise der erste Tag ihres neuen Lebens. Nach Hause würde sie auf keinen Fall zurückkehren, so viel war klar. Nach Mark Darling war es ihr unmöglich, wieder dem geregelten Leben eines Teenagers in einem stinknormalen Vorort nachzugehen. Außerdem verspürte sie diese überwältigende Schwärze, die sich in ihr ausbreitete und sie derart erfüllte, dass sie kaum schlafen konnte. Sie musste mehr Blut sehen. Und das bald.
Sie konnte nicht einschlafen. Als die ersten Sonnenstrahlen der Morgendämmerung durch die Vorhänge drangen, setzte sie sich auf ihrem Schlafsofa auf und blickte hinüber zu Orson, der noch schlafend im Bett lag. Sie beobachtete, wie sich seine Brust hob und senkte und musste zugeben, dass er verdammt clever gewesen war, ihr das Rasiermesser abzunehmen. Nichts hätte sie jetzt glücklicher gemacht, als damit über seine Kehle zu fahren, vielleicht sogar sein Blut zu schmecken, es sich die Kehle hinunterlaufen zu lassen. Sie hätte Marks Blut probieren sollen. Lucy stellte sich vor, dass es so richtig gut schmecken würde, noch besser als der Wein, den ihre Mutter sie ab und zu kosten ließ. Pech gehabt. Aber auf jeden Fall beim nächsten Mal.
Zusammen mit Orson und seinem Freund Luther, einem groß gewachsenen, bleichen Mann mit langen schwarzen Haaren, der ihr ziemliche Furcht einflößte, nahm sie den Lift zur Empfangshalle hinunter. Luther starrte sie mit seinen pechschwarzen großen Augen mit einer solchen Intensität an, dass sie sich nicht sicher war, ob sie auch nur einen Augenblick mit ihm allein verbringen wollte.
Sie frühstückten zusammen an einem Tisch in einer Ecke, und als sie zum vierten Mal bemerkte, dass Luther sie unentwegt anglotzte, konnte Lucy nicht länger an sich halten.
» Machen Sie ein Foto, Mann. Das hält länger.«
Orson blickte von seinem Teller mit gebratenem Speck und Rühreiern auf. » Was ist los?«
» Warum starrt Ihr Freund mich andauernd an? Das ist total krank.«
Orson lächelte und warf Luther einen Blick zu, ehe er sich wieder an Lucy richtete. Er lehnte sich zu ihr und flüsterte: » Er will dich umbringen, Lucy.«
Sie spürte, wie sich Kälte in ihren Gedärmen ausbreitete.
» Warum?«
» Weil er das dauernd tut. Er hat keinerlei Kontrolle darüber. Er sitzt einfach da und stellt sich vor, wie du in einer Badewanne ausläufst. Aber
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