Serum
Eisner.
Ich weiß nicht, wie ich es fertigbrachte, nicht zu schreien. Gabrielle und Hoot standen wie erstarrt daneben. Sie hatten Schokoriegel für alle mitgebracht.
Eisner verhielt sich am professionellsten. Kein Wunder. Er hatte Kim kaum gekannt. »Wir müssen weiter«, drängte er. »Die Leute werden schon auf uns aufmerksam. Mike? Steigen Sie ein. Ich fahre.«
»Meinen Sie, wir sollen sie einfach im Wagen behalten?«, fragte Hoot.
»Sie hätte nicht gewollt, dass man Sie erwischt, Mike«, meinte Eisner. »Und vor allem hätte sie nicht gewollt, dass ihr Tod der Grund dafür ist.«
»Erzählen Sie mir nicht, was sie wollte oder nicht«, schnappte ich.
Aber er hatte recht. Sie hatte es mir gesagt, und es war nur wenige Stunden her. Ich hatte ihre Wärme und Leidenschaft gespürt. Sie hatte ihren Wunsch klar formuliert. »Gib nicht auf, Mike. Egal, was passiert. Ich werde alles tun, um dir zu helfen.«
Kim.
Ich saß auf dem Rücksitz. Anscheinend war Eisner losgefahren. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber er hielt sich strikt an das Tempolimit und sagte, dass es klüger sei, wenn wir etwas zu uns nähmen. Ich kannte seine Pläne nicht. Ich wusste nicht, ob er Kim mit nach Norden nehmen wollte. Das hätte ich nicht ausgehalten. Das war mir klar.
Er fing wieder mit Kanada an. »Mike, ich weiß, wie Sie sich fühlen, aber …«
»Halten Sie an«, sagte ich.
»Mike …«
»Lassen Sie mich raus. Ich gehe zu Fuß. Fahren Sie nach Kanada, wenn Sie wollen. Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Ich gehe zu Naturetech. Ich werde diese Hundesöhne finden. Ich laufe nicht länger davon. Ich werde sie stoppen.«
Ich hörte Danny tief aufseufzen. Dann: »Ich komme mit, Mike.«
»Ich auch«, fügte Gabrielle leise hinzu.
»Herrgott noch mal«, sagte Eisner, aber er setzte den Blinker. »Was zum Teufel wollen Sie denn bei Naturetech ausrichten?«
»Mich auf die Lauer legen. Teaks folgen, wenn er nach Hause fährt. Er weiß Bescheid.«
»Mist!« Eisner hieb mit der Faust auf das Lenkrad.
Aber er kehrte um. Er nahm die Ausfahrt bei Aberdeen, dem alten Munitionslager, und fuhr wieder nach Süden in Richtung Washington auf die I-95.
Wir sprachen nicht. Kims Kopf lag in meinem Schoß. Auf merkwürdige Art hatte ich das Gefühl, sie wüsste das zu schätzen. Wir brauchten einen Plan. Als wir die Umgehung von Baltimore erreichten, war mir einer eingefallen. Aber er machte mir so viel Angst, dass ich ihn erst einmal wieder verdrängte.
Er ließ mich nicht los.
Fünfzehn Minuten später, im Baltimore-Tunnel, erzählte ich den anderen davon. Sie waren entsetzt.
Aber wir einigten uns darauf, es trotzdem zu versuchen.
Eisner seufzte. »Es ist die beste Möglichkeit.«
20
D
as Cottage mit den grauen Schindeln war klein, gepflegt und stand auf einem 2000 m 2 großen Waldgrundstück im Nordwesten Washingtons, in der Nähe des Potomac und des Treidelpfads, vom Verkehrslärm durch Eichen abgeschirmt.
»Harris ist ein ehrlicher Reporter«, sagte Eisner, während er den SUV hinter das Haus fuhr. »Ich habe in der Hubschrauberaffäre mit ihm zusammengearbeitet. Er vertraut mir. Seine Frau arbeitet im Finanzministerium, daher ist tagsüber niemand zu Hause. Es gefällt mir überhaupt nicht, was wir da vorhaben, aber Mike hat recht.«
»Wenn man einem Reporter eine Leiche vor die Tür legt«, sagte ich, »dann schreibt er darüber.«
Über der Veranda baumelte ein Windspiel, und neben einem Blumenbeet hing eine Hängematte. Mir wollte schier das Herz brechen. Ich musste mich zwingen, daran zu denken, was Kim in Virginia zu mir gesagt hatte. Sonst hätte ich das hier nicht durchziehen können.
Ich will helfen, was immer es kostet.
Es heißt, dass man im Tod friedlich aussieht. Aber man sieht lediglich so aus, als hätte man nie gelebt. Wir ließen sie auf der Veranda zurück – eingehüllt in ihren Schlafsack. Eisner hatte bei der Post angerufen, um sicherzugehen, dass Harris in der Stadt war.
Ich hatte eine Nachricht verfasst, die wir bei Kim zurückließen, doch Eisner hatte sie geschrieben und unterzeichnet. Der Reporter kannte ihn, nicht mich.
Sie begann: »Eddy, ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg, dich auf eine wichtige Story aufmerksam zu machen. Ich möchte dir hier eine Freundin vorstellen, Kim Pendergraph, vormals Assistentin des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden von Lenox Pharmaceuticals, James Dwyer. Beide wurden ermordet, um einen Skandal zu vertuschen.«
Dann folgte eine Beschreibung der
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