Serum

und die Haltung eines großen Schauspielers. Kein Wunder, dass er als Politiker so erfolgreich war. »Nein, es war uns nicht egal, Mike, aber man vernichtet einfach kein Wunder«, sagte er sanft. »Gott lässt nur ganz selten ein Wunder geschehen. Penizillin. Antibiotika. Wunder, die die Welt verändern. Und Trillionen wert sind. Ein Wunder wie Oblige, das hegt und pflegt man. Man tut Gutes damit. Ich weiß, dass Sie das genauso sehen, Mike. Es bedarf einer besonderen Charakterstärke, ein kleines Übel zu ignorieren – selbst ein verabscheuungswürdiges Übel –, um dem größeren Wohl zu dienen. Ich denke, Sie besitzen diese Stärke, das haben Sie durch Ihr Kommen bewiesen.«
    Die Tür ging auf, und mein Herz sank, als zwei Fremde eintraten. Ein Schwarzer und ein Weißer. FBI-Haarschnitt. FBI-Anzug. FBI-Stil. Die üblichen ausdruckslosen Mienen.
    »Sie sind in Florida sehr gefragt«, meinte Keating, während sie mich filzten und mir den Rekorder abnahmen.
    »Überall hängt Ihr Steckbrief. Sie haben Asa Rodriguez getötet. Soweit wir wissen, sind Sie auch für Dwyers Tod verantwortlich. In Florida gilt die Todesstrafe. Und Sie haben gegen mehrere Spionagegesetze verstoßen.«
    »Sie wissen, dass das nicht wahr ist.« Ich musterte die beiden Fremden. Es schien sie nicht zu kümmern, was wahr war oder nicht.
    Schwadron sagte zu mir: »Ich denke, Sie sind ein Mann, der weiß, was ein Opfer bedeutet, Mike.« Er winkte die Agenten mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung zurück. Sie ließen mich los.
    »Diese Verhaftung ist möglicherweise überflüssig. Lassen Sie Mike und mich eine Minute lang allein bitte, ja?«
    Mir fiel auf, dass Gabrielles Signal ausgeblieben war. Das Handy hatte nicht geklingelt. Bedeutete das, dass sie sie nicht hatte kommen sehen? Oder steckte sie mit ihnen unter einer Decke?
    »Mögen Sie Poesie, Mike?«, fragte Schwadron, als wir allein waren. Die Männer würden vor der Tür und dem Fenster Posten beziehen. Es gab keinen Ausweg. Alles war schiefgegangen. Sie hatten von Anfang an gewusst, dass ich ihnen etwas vormachte. Ich hatte keine Chance gehabt.
    »Poesie«, echote ich.
    »Robert Frost zum Beispiel. Er war ein Genie. Er nahm ein winziges Körnchen Wahrheit und formulierte es so, dass es selbst für die größten und wichtigsten Entscheidungen der Menschheit zutraf.«
    »Sie lassen mir eine Wahl?«, fragte ich.
    »Kennen Sie sein Gedicht Der nicht gegangene Weg, Mike? Ein Mann steht an einer Weggabelung. Welchen soll er einschlagen? Hat er sich einmal entschieden, wird es kein Zurück mehr geben. Ja, eine Wahl. Ich will nicht, dass Ihnen weh getan wird. Ich will Ihnen helfen. Dies ist vielleicht die wichtigste Entscheidung Ihres Lebens. – Was würden Sie von einem lebenslangen Vorrat an Oblige halten? Und der Freiheit, sich seiner zu erfreuen?«

16
    W
    as würden Sie von einem lebenslangen Vorrat an Oblige halten? Und der Freiheit, sich seiner zu erfreuen?«
    Die Vorhänge waren zugezogen, die Tür geschlossen, trotzdem war nicht auszuschließen, dass ein Dutzend Menschen mitverfolgte, was im Raum vorging. Schwadron lud mich ein, mich zu setzen und mir sein Angebot durch den Kopf gehen zu lassen. Er zeigte mir den Weg in eine Welt, der ich einmal anzugehören gehofft hatte, bot sie mir auf dem Silbertablett an – zu einem Preis.
    Ich fragte: »Was wird aus den Mordanklagen?«
    Schwadron zuckte die Achseln. »Neue Zeugen melden sich. Alibis. Gefallen werden eingefordert. Gewisse Regularien des Patriot Act angewandt. Ich kann keine hundertprozentige Garantie geben. Reichen neunundneunzig?«
    »Warum?«
    Er wirkte überrascht. »Weil Sie unschuldig sind. Ich bin nicht völlig gewissenlos. Und ich will Sie auch nicht bestechen. Sie sind zu ehrenhaft für einen so schäbigen Handel. Ich biete Ihnen lediglich eine gerechte Belohnung für gute Arbeit an. Loyalität und Verantwortungsbewusstsein sind genau das, was wir von den Leuten erwarten, die diese Droge erhalten werden. Wir werden Listen erstellen. Es wäre mir eine Ehre, sie auf die erste zu setzen.«
    »Dann funktioniert die Synthese? Sie haben die Fehler ausgemerzt?«
    Er nickte. »Gerade laufen die letzten Tests. In fünfzig Jahren, wenn unser Land wieder stark und sicher ist und von den richtigen Leuten gelenkt wird, wird dieser Moment in den Augen der Geschichte als entscheidender Wendepunkt gelten.«
    »Sie haben nicht die Absicht, die Geschichte von diesem Wendepunkt erfahren zu lassen. Der entscheidende Fehler des