Settlers Creek
kaum mehr daran. Lange her. Da war ich gerade mal siebzehn.«
»Warum hast du diesen Nicholas nicht geheiratet?«
»Er ist mit dem Fahrrad in die Straßenbahnschienen geraten und gestürzt. Ein Auto hat ihn überfahren. Zum Glück ist mein Vater damals ans Telefon gegangen.«
»Er ist gestorben?«
»Nein. Aber er war schwer verletzt, besonders am Kopf. Ich habe ihn zu Hause besucht, als er aus dem Krankenhaus kam. Seine Eltern hatten ein großes Haus am Park, ich glaube, sein Vater war im Stadtrat. Ich erinnere mich, daß ich ziemliches Herzklopfen hatte, als ich reinkam. Wir waren zwar nicht verlobt oder so, nicht offiziell zumindest. Seine Mutter sah total fertig aus. Sie brachte mich die breite Treppe in Nicholas’ Zimmer hoch. Dort war’s dunkel, nur durch einen schmalen Spalt zwischen den Vorhängen kam ein bißchen Licht. Ich stand an seinem Bett, und er rollte seinen Kopf auf dem Kissen hin und her, sein Schlafanzug war oben naß vom Sabber, der ihm aus dem Mund lief. Er konnte nicht mehr reden, vermutlich nicht mal aufstehen. Ich bin nur ein paar Minuten geblieben und nie mehr hingegangen.«
Jetzt war es an Box, den Inhalt seiner Tasse zu betrachten. »Tut mir leid.«
»Braucht es nicht. Knapp einen Monat später habe ich beim Tanzen deinen Großvater kennengelernt. Ein halbes Jahr danach haben wir geheiratet, und ich bin hierher gezogen. Vermutlich habe ich deshalb Mark diese Geschichte erzählt – auch wenn es mal ziemlich düster aussieht, wendet sich doch alles wieder zum Besseren.«
Box wußte, daß Dee falsch lag. Ihre Maxime stimmte vielleicht für Backfische. Aber was Mark passiert war ... was er sich angetan hatte, daran war nichts, was irgendwie hätte besser werden können. Er war für immer gegangen. Etwas ganz Fundamentales war herabgestürzt und hatte das Leben der Zurückgebliebenen zersplittert. Das konnte nie wieder gekittet werden.
Box hob die Tasse zum Mund. Der scharfe Geruch der Teeblätter stieg ihm in die Nase. Dee mochte ihren Tee möglichst stark. Er schmeckte wie Galle.
»Hast du vielleicht ein bißchen Zucker?«
Seine Großmutter hob die Brauen. Für eine Frau, die tonnenweise Zucker zum Einkochen verwendete, war sie überraschend streng, wenn es um Tee ging. Widerwillig holte sie eine Zuckerdose aus dem Schrank. Box nahm zwei gehäufte Löffel.
»Wie geht es dir wirklich, Box?«
Er wollte der Frage ein zweites Mal ausweichen. »Wie betäubt, würde ich sagen. Wir beschäftigen uns mit dem ganzen organisatorischen Kram.«
»Das hilft vermutlich eine Zeitlang.«
»Wir kriegen ständig Besuch und haben inzwischen mehr Muffins und Scones im Haus als die meisten Cafés.«
»So ein Ereignis rüttelt die Leute auf und erinnert sie daran, daß sie nicht allein auf der Welt sind.«
Abrupt stand sie auf, die Tasse in der Hand. »Komm ins Musikzimmer, Box. Ich will dir etwas zeigen.«
»Meinetwegen.«
Vorsichtig trug er seine Tasse und Untertasse vor sich her und folgte ihr aus dem Sonnenlicht der Küche ins dunkle Innere des Hauses.
Der Raum links an der Vorderseite des Hauses wurde Musikzimmer genannt wegen des Flügels seiner Urgroßmutter, der immer noch dort stand. Es sprach für die Größe des Raums, daß der Flügel ihn keineswegs dominierte. Das lag zum Teil an der Deckenhöhe des gesamten Hauses von gut vier Metern. Der riesige offene Kamin bestand aus Blöcken von weichem Vulkangestein, die von den Klippen beim Hafen stammten. Die breiten Dielen des Bodens waren aus demselben Holz wie in der Küche, nur verschwanden sie hier fast ganz unter Teppichen, die teilweise übereinanderlagen und weder farblich noch von den Mustern her zueinander paßten – Dees Flohmarktbeute und Teppiche, die seit dem Bau des Hauses hier lagen.
Im Musikzimmer befand sich auch der größte Teil von Dees Büchern. Wenn sie sich gerade nicht mit ihrem Obst beschäftigte, las sie. Überall im Zimmer waren Bücher verstreut. Sie standen oder lagen in den Regalen und auf dem Kaminsims, weitere Stapel besetzten die Fensterbretter oder türmten sich auf dem Boden vor den Fußleisten. Bücher sahen unter den Kissenbergen auf dem Sofa hervor wie zusammengerollte Katzen.
Box trat ans Klavier und schlug drei Tasten an. Er konnte nicht spielen, ebensowenig wie Dee, die höchstens den Flohwalzer zusammenbrachte. Pop spielte Klavier, seine Mutter, Box’ Urgroßmutter, hatte es ihm an genau diesem Flügel beigebracht. In Box’ Kindheit war das Haus oft von Klaviermusik erfüllt gewesen. Zu
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