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Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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ungewöhnlichen Zeiten, früh am Morgen oder spät nachts, wenn er schon im Bett lag und seine Gedanken undeutlich zwischen Traum und Wachen pendelten. Wenn im Sommer die großen Schiebefenster hochgezogen wurden, ergoß sich Pops Klavierspiel auf den Rasen vor dem Haus und floß manchmal bis zu den Gewächshäusern unten an der Flußbiegung herab.
    Paul hatte mit zehn, zwölf Jahren eine Zeitlang Klavier gelernt und es unter Pops ruhiger Anleitung sogar zu einem gewissen Niveau gebracht. Doch er hatte keine wirkliche Leidenschaft für das Instrument entwickelt und eines Tages einfach aufgehört, Pop um Stunden zu bitten. Seine Kenntnisse schwanden rasch dahin. Box hatte sich nie für musikalisch gehalten und höchstens mit einem Finger auf den Tasten herumprobiert, wenn niemand in der Nähe war. Er war weit mehr daran interessiert, herauszufinden, wie das Ding funktionierte. Ein Finger auf der Taste hier hob den Hammer im Inneren dort und brachte die straffen Saiten hier zum Schwingen. Doch er hatte nie das Bedürfnis verspürt, auf dem Ding spielen zu können. Schon als Junge hatte er sich gut genug gekannt, um zu wissen, daß er draußen besser aufgehoben war, daß seine Finger eher dazu geeignet waren, etwas zu reparieren oder zu bauen.
    Dee war zum Kamin gegangen. Box sah, daß sie die dicke Familienbibel herunternahm. Mit beiden Händen trug sie sie zum Sofa herüber.
    »Komm her, setz dich zu mir.«
    Er tat, wie ihm geheißen.
    »Hier, nimm.«
    Das Buch lag auf seinen Oberschenkeln, schwer wie ein Block durchweichtes Holz, das man aus dem Hafen gezogen hatte.
    »Ich möchte, daß du dir die Bibel gründlich anschaust.«
    »Ich kenne sie doch schon, Dee.«
    »Dann schaust du sie dir jetzt eben noch mal an.«
    Die massive kupferne Schließe zeigte eine grüne Patina an den Rändern. Dee beugte sich über ihn und öffnete sie. Sie schlug die erste Seite auf. Trotz der Schwere des Bandes waren die einzelnen Seiten dünn und rochen trocken und staubig.
    Box kannte die Geschichte. Die Bibel war mit dem ersten Saxton und seiner Frau aus England gekommen, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, ans genaue Datum konnte Box sich im Moment nicht erinnern, ebensowenig an den Vornamen des Mannes. Die Details waren im Erinnerungsnebel verblaßt.
    Box blätterte langsam in dem Buch, heuchelte Interesse, fragte sich aber in Wirklichkeit, warum Dee ihre Zeit damit vergeudete, ihm das noch einmal zu zeigen, ausgerechnet jetzt. Dee lehnte sich an ihn, ihr süßlicher Geruch umhüllte ihn von neuem.
    »Nein, blättere zurück. Ja, hier ist es. Pops Urgroßvater Augustus. Er kam 1849 hierher. Er ist in Surrey aufgewachsen und dann mit einem Schiff namens ›Getty‹ um die halbe Welt gesegelt, um hierher zu kommen.«
    In dem schwachen Licht, das durch die hohen Fenster drang, mußte Box seine Augen anstrengen. Die Handschrift war klein, regelmäßig und völlig unleserlich. Dee mußte sie sehr genau studiert haben, denn sie schaute nicht auf das Blatt, als sie sprach. Ursprünglich waren die ersten sechzehn Seiten leer gewesen, doch über die Jahrzehnte hatten sie sich mit Familiennamen gefüllt. Einen richtigen Stammbaum gab es jedoch nicht. Statt dessen hatte jeder Nachkomme des ersten Siedlers Augustus, jede Generation und jede Familie, sich auf den Seiten Platz verschafft, alle hatten sich hineingedrängt, um ihre Existenz zu proklamieren.
    Die Namen wurden hingekritzelt, wenn Kinder geboren wurden. Oder wenn Leute starben – bei Unfällen, an Krankheiten oder an der guten alten Altersschwäche. An den Rändern jeder Seite gab es Kommentare und Hinzufügungen in hellerer oder dunklerer Tinte und in einer Vielfalt von Handschriften, von großen runden Buchstaben bis zu kleinen unentzifferbaren Kritzeleien.
    »Sein voller Name steht hier: Augustus Edward Saxton. Seine junge Frau ist auf der Reise bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben. Mutter und Kind wurden auf See bestattet.«
    »Das weiß ich doch, Dee. Du hast es Paul und mir oft genug erzählt, als wir klein waren.«
    »Kannst du nicht einfach mal zuhören, Box? Hör auf, hier den Chef zu spielen.«
    »Das tue ich doch gar nicht.«
    Sie seufzte wie ein Kind in einer Schultheateraufführung. »Schau dir einfach mal das an.« Sie griff über die Armlehne des Sofas und nahm eine Plastiktüte hoch, die sie offenbar dort bereitgestellt hatte. Sie zog einen Stapel sepiafarbener Fotografien heraus. Teils Originale, die Box schon mal gesehen hatte, teils Abzüge auf neuem

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