Settlers Creek
Rauhputz mit leichten Noppen, die sich anfühlten wie die Zunge einer Katze.
Die Morgensonne hatte die Pappeln überstiegen und beschien nun das Haus. Selbst im Herbst stand die Sonne nicht tief genug, um unter das breite Vordach in die Zimmer zu scheinen. Eine Veranda umgab das Haus auf drei Seiten. Sogar an einem Regentag konnte man dort stehen und über die Rasenflächen auf die tiefer gelegenen Teile des Lands schauen, auf die Gewächshäuser und den hohen Schornstein und auf das Hafenbecken dahinter.
Dee mußte den Wagen gehört haben, denn sie kam zur Tür; mit einem Geschirrtuch trocknete sie sich die Hände ab. Sie trug denselben braunen Pullover, den sie während der kalten Jahreszeit immer trug, so lange Box zurückdenken konnte. Er war ausgebeult und verfilzt und gehörte für ihn ebensosehr zu ihr wie ihr langer grauer Pferdeschwanz und das dichte Netz von Sommersprossen auf ihren Handrücken.
Er hielt an den Eingangsstufen an und stellte den Motor ab. Er hatte noch nicht die Füße auf den Boden gesetzt, als Dee schon an seinem Hals hing. Er spürte das feuchte Geschirrtuch in seinem Nacken. Natürlich weinte sie.
»Es tut mir so leid, Box, so entsetzlich leid.«
Er legte die Arme um sie und fühlte die Wolle ihres Pullovers in seinen Handflächen, sie war so abgenutzt, daß ihr natürlicher Lanolingeruch verschwunden war. Ersetzt hatten ihn die Küchengerüche und der erdige Schweiß von Dee selbst. Box und Liz witzelten oft, daß der Geist jedes Apfels und jeder Birne, die Dee je eingekocht hatte, in dem Pullover herumspukte.
»Warum? Warum nur hat er eine solche Dummheit gemacht? Der Junge, der dumme Junge. Warum, Box?«
»Ich weiß es nicht, Dee.«
»Oh, der dumme, dumme Junge.«
Dee atmete schluchzend durch die Nase ein. Noch immer hielt sie Box fest in ihren Armen. So fest, daß er spürte, wie sich ihre Lungen füllten. Endlich trat sie einen Schritt zurück. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute in sein Gesicht hoch. Ihre Hände lagen noch auf seinen Unterarmen, die Tränen bildeten kleine Bäche in den tiefen Falten um ihre verschwollenen Augen. Sie schüttelte den Kopf.
»Es ist eine dumme Frage, aber wie geht es dir?«
»Ganz gut. Wie es einem unter diesen Umständen eben gehen kann.«
Dee zog die Augenbrauen hoch. »Nein, Box. Das ist nicht wahr.«
»Dee ...«
»Komm rein. Wir können nicht den ganzen Tag hier draußen stehen.«
Er ließ zu, daß sie ihn am Ellbogen die Stufen hinaufführte wie einen fünfjährigen Jungen. Der Name Whitecliffs stand in eine Messingplatte graviert an der Tür – Haus und Land waren ein und dasselbe. Sie traten durch die schwere Holztür unter dem Bogen aus rotem und blauem Farbglas hindurch in das stets halbdunkle Innere.
In dem breiten, vollgestopften Flur hatte sich seit seiner und Pauls Kindheit nicht viel verändert. Sie kamen an dem Kleiderständer vorbei, auf dem ganze Generationen von Mänteln, Regenhäuten und Hüten hingen. Manches davon war nie getragen worden, nicht mal von Großvater. Die alte Standuhr machte ihrem Namen alle Ehre und stand, daneben ein proppenvolles Bücherregal mit einem bunten Durcheinander von einstmals modernen Romanen, Kochbüchern und Lexika, dazu etwa dreißig Jahrgänge von »National Geographic« in gelben Stapeln.
Der Gedanke, irgend etwas, das ihr gehörte, wegzugeben, war Dee so fremd wie Japanisch zu sprechen oder Obst im Supermarkt zu kaufen.
Box’ Großvater hatte einen stummen Kampf gegen Dees Sammelwut geführt. Oft kam sie von irgendwelchen Flohmärkten zurück, das Auto bis unters Dach vollgepackt mit gebrauchten Büchern, Lampenschirmen, Brettspielen, Videos oder Möbeln – alles Sachen, die man »vielleicht mal brauchen könnte«, wie sie sagte. Nichts davon war je neu oder gar teuer gewesen.
Ein halbes oder ein Jahr später brachte Großvater heimlich soviel wie möglich davon wieder unter die Leute. Wenn er in die Stadt fuhr, lud er den Pritschenwagen Stück für Stück mit den Sachen voll und lieferte sie bei der Kirche oder der Heilsarmee ab. Meistens merkte Dee nichts davon. Box erinnerte sich, wie er Pop einmal aus dem Haus gehen sah, und aus der Tasche seiner Öljacke baumelten die Beine einer alten Puppe. Pop bemerkte seinen Blick und zwinkerte ihm zu.
Aber jetzt, ohne Pop, hatte Dees Sammelwut in den letzten zehn Jahren nur dazu geführt, daß die Sachen immer enger zusammengestellt wurden, um Platz für neue zu schaffen. Die letzten Neuerwerbungen wurden auf die
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