Settlers Creek
dann gegenüber der Einfahrt an der Hauptstraße an. Er stellte den Motor ab und blieb einfach sitzen, allein und schweigend, die Hände noch immer auf dem Lenkrad. Ein paar Autos fuhren vorbei. Und dann waren nur noch der Wind in den Pappeln am Feldrain unterhalb der Straße und das verschwommene Zwitschern unsichtbarer Vögel zu hören.
Tatsächlich war er erst in einer Stunde mit dem Pfarrer verabredet. Er hatte Dee nicht gern angelogen, aber er mußte einfach weg von ihr. Er hatte diese Versuche seiner Großmutter, in seine Gefühlswelt einzudringen, schon immer gehaßt, seit seiner Kindheit. Dee war wie dieser Akupunkteur, zu dem ihn Liz einmal wegen seiner ständigen Genickschmerzen geschickt hatte. Dee kannte die Stelle genau, wo sie ihre Nadeln einstechen mußte. Und jetzt wollte sie, daß er wieder in ihr Haus zog. Da konnte sie lange warten.
Ohne den Wagen abzuschließen, ging Box zurück, an dem roten Briefkasten vorbei und dann auf direktem Weg durch die Obstplantage. Noch immer hingen Birnen an den Bäumen, und zu seiner eigenen Überraschung fiel ihm der Name der Sorte ein: Taylor’s Gold. Bis April waren sie grün und hart wie Stahlkugeln. Ungewöhnlich viele Früchte lagen auf dem Boden. Offenbar war es sogar für Dee zuviel gewesen, alle zu ernten. Vielleicht hatte aber auch ihre neue Begeisterung für Internetrecherche zuviel Zeit gekostet. Oder sie wurde einfach alt. Box stieg der süßliche Fäulnisdunst in die Nase. Er sah Wespen in den ausgehöhlten Schalen der verfaulenden Früchte herumkriechen. Wenn er zu nahe kam, hörte er ihr warnendes Brummen.
Die gesamte Plantage mußte auf Vordermann gebracht werden. Hie und da war Feuerbrand zu sehen, auch Blattläuse hatten sich ausgebreitet. Mindestens eine Woche lang mußte ausgeholzt werden. Einige Bäume, etwa der dort drüben, mußten sogar gefällt werden. Dee hatte recht. Auch wenn er ihr entgegengehalten hatte, sie sei fit wie ein Turnschuh, wußte er doch, daß sie nachließ. Sie hatte nicht mehr alles im Griff und würde nicht ewig leben.
Box hatte ein paar Monate zuvor in ihrem Medizinschränkchen herumgeschnüffelt und verschreibungspflichtige Medikamente gefunden, Coumadin und ein paar starke Schmerzmittel. Er kannte Dee gut genug, um zu wissen, daß es sinnlos war, sie danach zu fragen. Sie würde ihn informieren, wenn sie die Zeit dazu für gekommen hielt. Vermutlich bedeutete das, nie. Sagte er ihr auf den Kopf zu, was er wußte, gäbe es nur Streit.
Er ging durch die Obstplantage in den Gemüsegarten. Wegen der hohen Lorbeerhecke konnte Dee ihn vom Haus aus nicht sehen. Pop hatte aus Ziegelsteinen sechs große Hochbeete gebaut und dann Jahre damit verbracht, den richtigen Boden aufzubauen. Er hatte seine eigene patentierte Mischung von Pferdedung, Knochenmehl und Kompost aus den drei Haufen an der Grundstücksmauer. Er holte sich Sand vom Strand und fügte ihn in sorgsam abgemessenen Dosen hinzu. Gern erzählte er die Geschichte, er habe eines Winters mal eine Gartenschaufel in einem der Gemüsebeete verloren. Im nächsten Frühjahr sah er dort einen Busch wachsen, der dann im Sommer ein paar glänzende neue Gartenschaufeln trug. So gut war sein Boden.
»Und als deine Großmutter sie gekocht hatte, waren die Gartenschaufeln erstaunlich lecker.«
Eine Pointe auf eine Pointe. Box hatte die Geschichte mindestens ein halbes Dutzend Mal gehört, und nie hatte der alte Mann dabei auch nur eine Miene verzogen. Das machte sie so komisch. Nicht der Witz selbst, sondern die trockene Art, wie Pop ihn erzählte.
Aber eines stimmte daran: Diese Beete brachten so ziemlich den besten Mais hervor, den Box je gegessen hatte. Und dasselbe galt für Salat und Blumenkohl und Bohnen und Brokkoli und rote Bete und Kartoffeln und Kürbisse mit den Ausmaßen von Sitzsäcken. Gut, letzteres mochte übertrieben sein, aber nur ein bißchen. Dee machte eine phantastische Kürbissuppe daraus, mit der Farbe der Sonnenuntergänge auf französischen impressionistischen Gemälden.
Box bemerkte, daß eine Harke im Boden steckte, wo Dee offenbar nach Kartoffeln gegraben hatte. Er zog sie heraus und wischte mit der Hand die Erdklumpen von den Zinken. Wenn die Harke im Regen draußen blieb, würde sie rosten. Es wäre schade um das gute Gartengerät mit dem glattpolierten Eichenstiel. Der Geräteschuppen lag unterhalb der Hochbeete. Box ging mit der Harke dorthin und öffnete die Tür. In dem halbdunklen Raum roch es nach Leinöl und getrocknetem Pferdedung und
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