Settlers Creek
und die Spitzen seiner Schultern boten sich dem Auge dar.
Box merkte, daß Liz hinter ihm stehengeblieben war. Er drehte sich um und sah, daß sie auf halber Strecke zwischen der Tür und dem Leichnam ihres Sohnes gestrandet war. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren. Sie war so regungslos und bleich, daß man glauben konnte, sie sei zur Salzsäule erstarrt oder für immer eingefroren.
Box ging die paar Schritte zu ihr zurück und legte seinen Arm um ihre steifen Schultern.
»Ist gut, Box.«
»Mach ganz langsam.«
Der Bestattungsunternehmer schluckte wieder unangenehm laut, dieses Geräusch hatte Box schon bei seinem Besuch in ihrem Haus genervt. »Alles, was Sie benötigen, sollte hier sein. Falls Sie mich brauchen, ich bin in meinem Büro, erste Tür links, wenn Sie rauskommen.«
»Okay«, sagte Box. Verpiß dich endlich.
»Ich lasse Sie jetzt allein.«
»Danke!«
Box hörte die Schritte des Mannes auf den Fliesen, dann schloß sich die Tür. Sie waren allein. Nur sie drei. Er legte seine Hände um Liz’ Gesicht.
»Bist du sicher, daß du dir das zutraust? Wir müssen das nicht selbst machen, die haben ihre Leute dafür.«
»Nein, Box, ich schaffe das schon. Ich muß es selbst machen.«
Er nahm ihre Hand, und sie gingen zusammen durch den Raum.
Mark sah nicht so aus, als schliefe er – das war ein Klischee. Oder wie nannte man das? Ein Euphemismus. Im Schlaf hatte Mark sich immer bewegt. Er hatte sich in jedem Bett, in dem er je lag, ausgebreitet und rumgezappelt. Als Kind hatte er ständig im Schlaf vor sich hin gemurmelt oder mit sich selbst gesprochen, manchmal auch geschrien, seine Augenlider zuckten, und er war immer ganz heiß gewesen.
Schon von dem ersten warmen Sommer in Nelson an, als Box und Liz zusammenkamen, war Mark wie ein warmes Kaninchen fast jede Nacht in ihr Bett geschlüpft. Hörte erst mit zehn Jahren damit auf. »Schlecht geträumt«, sagte er, wenn er im Dunkeln neben ihrem Bett auftauchte. Zuerst wollte Box den Jungen immer in sein eigenes Bett zurückschicken, aber Liz hatte darauf bestanden, daß er bei ihnen bleiben durfte. Daß Mark bei ihr im Bett schlief, war eine Gewohnheit der beiden, seit Steve – jetzt Tipene – sie ein Jahr zuvor verlassen hatte. Sogar mit Liz zwischen ihnen hatte Box das Murmeln und die Unruhe des Jungen wahrgenommen. Manchmal traf ihn gar eine Faust oder ein Fuß aus dem Dunkeln. Es war, als schliefe man mit einem kleinen Erdbeben im Bett. Box hatte das nicht sehr gestört. Nicht allzusehr. Zumindest nicht mehr, nachdem er sich daran gewöhnt hatte. Ihm fehlte zwar der tiefe ununterbrochene Schlaf des Junggesellen, doch mit den beiden im selben Bett zu liegen brachte eine neue Erfahrung: Er war Teil einer Familie. Das war den einen oder anderen nächtlichen Stoß durchaus wert.
Aber jetzt, hier, in diesem gekachelten Raum, in diesem beschissenen, unerklärlichen, vernichtenden Alptraum wußte Box, daß Mark ganz bestimmt nicht schlief. Seine Starre war geisterhaft.
Unter dem Laken war Mark nackt. Von oben gesehen, glich sein Körper einer Landschaft; sanfte Hügel, Bergspitzen und ausgetrocknete Täler.
Jemand, der ihn nicht kannte, hatte sein Haar gekämmt. Es war immer dick und lang und ungekämmt gewesen, eine Mähne, die selten kürzer als schulterlang war. Jetzt war der Pony aus dem Gesicht gekämmt, und er hatte einen improvisierten Scheitel, eine schmale blasse Linie in Marks Schopf. Liz streckte langsam die Hand aus und griff in sein Haar, zerwühlte es, bis der Scheitel verschwunden und sie mit dem Ergebnis zufrieden war. Sie ließ ihre Hand an ihm herabgleiten und streichelte seine Wange. Erschrocken zog sie sie zurück. Ein erstickter Laut drang aus ihrer Kehle, sie trat zurück und schaute zu den hohen Fenstern, durch die letzte Sonnenstrahlen auf die gegenüberliegende Wand fielen.
Box schaute auf die dicken Blutergüsse am Hals des Jungen. Das sah gar nicht gut aus. Aber tatsächlich war er erleichtert. Während der beiden letzten Tage hatte er es sich noch schlimmer vorgestellt. Wieder und wieder war er durchgegangen, was sich auf diesem Hügel Samstag nacht wohl abgespielt haben mochte. In diesen quälerischen Filmszenen waren Marks Augen weit hervorgetreten und blutunterlaufen wie bei einem überfahrenen Opossum. Und der Hals des Jungen war blutiges, rohes Fleisch gewesen. Mit der Wirklichkeit kam Box besser klar: nur schwarzblaue Blutergüsse.
Mit zwei Fingerspitzen berührte er seinen Sohn an der Schulter, knapp oberhalb
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