Setz dich über alles weg
wahrscheinlich wie eine Kneipe.« Wir ließen die Rollstühle
auf dem Korridor stehen und eilten in mein Zimmer. Jim und Pete saßen auf
meinem Bett. Als sie unsere schuldbewußten Mienen und die Kognakflasche in
meiner Hand erblickten, sagten sie gleichzeitig: »Was habt ihr angestellt?« Wir
erzählten ihnen von Mrs. Calhoun, der armen kleinen Mrs. Calhoun. Als Faith den
Wutausbruch Dr. Wests beschrieb, fingen sie beide zu lachen an.
Jim sagte: »Ein Glück für euch
warmherzige Samariterinnen, daß das Röntgenbild negativ ist. Ich habe es eben
gesehen. Alles okay.«
Pete langte in den Schrank und holte
meinen Koffer hervor. »Ihr solltet erst morgen nach Hause, aber es ist besser,
ihr geht gleich. Packt eure Sachen, ich rufe Tod an. Verflixt noch mal, jetzt
kommen wir zu spät zu unserem Bankett!«
8
Hochdruck
Da mir der Gedanke an die Kinderschar
immer noch im Kopf herumging, kam Sally sechzehn hektische Monate nach Mari zur
Welt. Ich hatte so viel zu tun, daß ich es gar nicht merkte, als ich schwanger
wurde, ganz zu schweigen von den ärztlichen Untersuchungen. Der Aufenthalt im
Krankenhaus war bei weitem nicht mehr so faszinierend und abenteuerlich wie das
erstemal, sondern eher wie ein kurzes Nachmittagsschläfchen, während ich
eigentlich einen gründlichen Nachtschlaf nötig gehabt hätte.
Mir war, als müßte ich alles auf
einmal, gleichsam am laufenden Band, erledigen. Sally füttern, Mari füttern,
Jim füttern — Sally anziehen, Mari anziehen — Sally baden, Mari baden — Sally
schlafen legen, Mari schlafen legen — das Frühstücksgeschirr abwaschen, den
Speisezettel entwerfen, Windeln waschen — und dabei war es erst zehn Uhr
vormittags. Mrs. Dunnys gute Ratschläge schlängelten sich wie das Zeitzeichen
des Rundfunks durch dieses geschäftige Labyrinth, und obwohl sie gut gemeint
waren, irritierten sie mich genauso. Wenn ich Unkraut jätete, kniete sie neben
mir nieder und zupfte mit der Geschwindigkeit und Präzision eines Hackspechts
alles Grüne aus dem Boden, einschließlich der Samenpflänzchen, die ich hatte
stehenlassen. Wenn ich saubermachte, riß sie mir den Putzlappen aus der Hand
und scheuerte den Anstrich, bis das nackte Holz zum Vorschein kam. Sie nahm mir
die Babies weg und schaukelte sie, bis sie sich erbrachen. Sie war meine
Nachbarin, aber Maggie ging mir wirklich ab.
Im Laufe dieser Zeit hatte ich mehrere
Aushilfen — Gymnasiastinnen, Studentinnen und Handelsschülerinnen die
offensichtlich der Meinung waren, ein Arzt müsse besser Bescheid wissen und
seine Frau nicht so schnell hintereinander zwei Kinder kriegen lassen, mich
etwa vier Wochen lang bedauerten und sich dann eine andere, weniger belastende
Arbeit suchten. Doris (diesmal eine Handelsschülerin) hatte soeben einen
anderen Posten angenommen, wo es ›ebensoviel Kinder gibt, aber älter! Die
beiden sind ja wie Zwillinge!‹ Wieder eilte ich wie am laufenden Band von der
einen Aufgabe zur anderen und versuchte, zuallererst die Sachen zu erledigen,
die Mrs. Dunnys Adlerauge auf sich lenken würden. Sie war unerhört gründlich.
Es war etwa Viertel elf — ich hatte
gerade meinen neuen Hut aus der Toilette gefischt. Das hatte sich Mari
geleistet, als ich ihr den Rücken kehrte, um Sally zu baden. Die Türklingel
läutete. Ich wickelte Sally in ein großes Badetuch und legte sie in ihr
Bettchen, nahm Mari unter den Arm und ging hinunter, um zu öffnen. Auf dem Wege
nach unten deutete Mari stolz auf die Lippenstiftflecken, mit denen der Teppich
im Korridor und sämtliche Treppenstufen beschmiert waren. Das hatte sie in dem
kurzen Augenblick angestellt, während ich hinunterstürzte, um Sallys Flasche zu
holen. Meine Aushilfen waren nicht die einzigen, die sich eine weniger
belastende Arbeit wünschten! Ich öffnete die Tür.
Draußen stand ein hochgewachsener Mann
mit dem Hut in der Hand. Er hatte tiefblaue Augen und sah etwas geistesabwesend
und recht streng aus. Wortlos reichte er mir ein ovales koloriertes Foto auf
einer metallenen Unterlage. Es war das Bild eines drei Monate alten Babys, das
auf einem Fell liegt und in die Kamera hineinlächelt. Sally! Dann lächelte er
Jims langsames strahlendes Lächeln, sagte: »Guten Morgen, liebe
Schwiegertochter!« — und damit war Großpapa, Jims Vater, ein Bestandteil
unseres Lebens geworden.
»Mach du nur weiter, was du gerade
vorhast — ich koche Kaffee!« verkündete er, ging ins Haus und legte den Hut auf
die Fiurbank. Er folgte mir in die
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