Setz dich über alles weg
Küche, ich gab ihm die Kaffeekanne und den
Kaffee und ging hinauf, um die Kinder hinzulegen. Ich nahm mir die Zeit, Jim
anzurufen und ihm mitzuteilen, Pa sei erschienen. Jim sagte: »Fein! Mach ihm
Kaffee! Ich komme so schnell wie möglich nach Hause.«
Ich wollte nicht glauben, daß dieser
hochgewachsene kräftige Mann Jims Vater sei. Jim hatte mir erzählt, sein Papa
sei mit zwanzig Jahren aus Dänemark eingewandert, habe sein Leben lang schwer
arbeiten müssen — wie die meisten Einwanderer in diesem Lande — und dann, nach
Mamas Tod, die meiste Zeit auf Reisen verbracht.
Alles, was Jim von seinem Vater zu
erzählen wußte, bezog sich auf frühere Zeiten. Seit Jim einmal schwer krank
gewesen war, hatten sie einander nicht mehr gesehen. Damals hatte Papa drei
Wochen in Chicago verbracht und Tag um Tag nur auf die Besuchszeiten des
Krankenhauses gewartet. Die übrige öde Zeit vertrieb er sich damit,
Straßenbahn, Bus und Hochbahn zu fahren, und nach Ablauf der drei Wochen kannte
er sich in der Stadt besser aus als Jim. Er war im Mittelwesten als
Kanalisationsunternehmer tätig gewesen, hatte zu Hause den Flußviadukt gebaut,
hatte in Texas gelebt, als da noch alle Meinungsverschiedenheiten mit dem
Revolver ausgetragen wurden, hatte das Gebäude der Telefongesellschaft in
Houston gebaut. Er hatte viele Arbeiter beschäftigt und war aus zwei Gründen
immer gut mit ihnen ausgekommen: Erstens konnte er jede Arbeit besser und
schneller verrichten als sie, und zweitens konnte er in allen bekannten
Sprachen fluchen. Ja, Großpapa hatte ein tatkräftiges Leben hinter sich — aber
jetzt war er schon sehr alt, drei- oder vierundachtzig, Jim wußte es nicht
genau.
Großpapa sah nicht um einen Tag älter
aus als sechzig, und Tatkraft war nicht das richtige Wort.
Als ich hinunterkam, saß er am
Küchentisch und untersuchte den elektrischen Mixer. Er lächelte mir zu und
deutete auf zwei Tassen Kaffee — dick und schwer. Jims Kaffee.
»Weißt du, meine Tochter, elektrische
Apparate sind an vielen Scheidungen schuld. Sie zerstören die heimische
Atmosphäre, den Geruch frischgebackenen Brotes, frischgepreßten Apfelsaftes
oder frischer Seife. Der Mann hat nicht mehr das Gefühl, daß auch die Frau
fleißig ist.« Er steckte ein Stück Zucker zwischen die Zähne und schlürfte
seinen Kaffee. »Ja, mein Kind, hat man zuwenig zu tun, gibt es gleich
Scherereien, ob es der Mann ist oder die Frau! Hat Jim viel zu tun?« Ich
schilderte ihm ausführlich und nicht gerade unparteiisch Jims umfangreiche
Tätigkeit.
»Mag er noch immer Salzhering, gefüllte
Oliven und Gjedost?« fragte Großpapa. Wenn er über Jim sprach, klang seine
Stimme genauso warm und stolz wie Jims Stimme, wenn er über seinen Vater
sprach.
Wenn Jim einmal alt ist, wird er genauso
aussehen, dachte ich, während ich Großpapa zuhörte und seine klaren,
weitblickenden, blauen Augen betrachtete. Sein dichtes, blondes Haar war nur an
den Schläfen leicht angegraut, und die Falten in seinem Gesicht wirkten eher
wie die feinen Spuren eines im Freien verbrachten Lebens als wie die Runzeln
hohen Alters. Ich fand den Gedanken nicht recht erfreulich, daß, lange bevor
wir sechzig waren, mich die Leute unweigerlich für Jims Mutter halten würden.
Großpapa war der Meinung, in Amerika
verstünden die Menschen nicht, sich zu amüsieren. Sie arbeiteten, weil ihnen
die Arbeit Freude macht, nicht um genügend Geld zu verdienen und ihre
Mußestunden genießen zu können. In Kopenhagen dauerte jede zivilisierte
Festlichkeit von Donnerstag mittag bis Dienstagnachmittag. Man trinkt Aquavit,
geht nur nach Hause, um sich umzuziehen, tanzt, geht ins Theater, fährt nach
Norwegen Ski laufen, macht einen Ausflug nach Deutschland, um Musik zu hören.
Ja, mein Kind — er würde mich gerne einmal nach Kopenhagen mitnehmen — das ist
eine Stadt! Er trug sich mit dem Gedanken, in etwa zwei Jahren nach Dänemark zu
fahren, falls bis dahin der Krieg noch nicht ausgebrochen sei.
Großpapa war nicht dafür, daß
Schwiegereltern bei ihren Kindern wohnen. Das gäbe nur Reibereien. Wenn man erst
einmal dreiundachtzig Jahre alt geworden sei, habe man so ziemlich alles im
Leben gesehen und getan und wolle sich seine Vergnügungen selber aussuchen
dürfen, ohne daß ein Rudel unerfahrener Gören um einen herumzappelt und einem
sagt, was man tun soll. Er lachte kurz auf. »Jim will mich unbedingt verarzten.
Er scheint nicht zu begreifen, daß ich bisher recht gut ohne seine
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