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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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Dänemark
übersiedelt, um das Gut seiner Mutter zu übernehmen. Er ging in die dänische
Schule. Als er sechzehn war und das Gymnasium besuchte, übersiedelte die
Familie nach Charbin in China. Er beendete an einer chinesischen Universität
seine Studien und macht dort seinen Doktor juris. In Charbin lernte er seine
Frau, eine Weißrussin kennen und heiratete sie. ›Ich kann nur Mandarinisch,
aber er spricht, liest und schreibt sämtliche Dialekten
    Dann übersiedelte sein Vater, offenbar
ein sehr unsteter und launischer Herr, nach Idaho. In Idaho wurde Mr. Ilshensky
als Anwalt zugelassen, und Mrs. Ilshensky litt ›unsagbar‹ — ›sechs schräckliche
Monate in Idaho — keine Menschen, nur Beime...‹ Dann übersiedelten sie nach
Alaska, um Beziehungen für den Pelzimport anzuknüpfen. Alaska war aus
irgendwelchen sonderbaren Gründen ›einfach wunderscheen — Berge — Gletscher —
Schnee — Tundra — ganz wie Rußlands
    Jetzt lebten sie im Nordwesten
Amerikas, in einer Gegend, die abwechselnd ›wunderscheen‹ oder ›schräcklich
einsam‹ war, je nachdem, ob Mrs. Ilshensky gerade an ihren ›schräcklichen
Kopfschmerzen‹ litt oder nicht. Die Ilshenskys fuhren jedes Jahr nach Paris, um
sich einige interessante Ausstellungen anzusehen, nach Deutschland, um ›Musik
zu chören, die wo nicht bloß schräcklicher Lärm is‹, und nach Italien, um
›bissel Sonne zu chaben‹. In dieser Zeit konnte ich meine Hausarbeit
verrichten, ohne den Hörer unters Ohr klemmen zu müssen.
    Als sie hierherkamen, suchte Mrs.
Ilshensky Jim auf, weil sie fest überzeugt war, er spreche fließend Dänisch.
Obwohl sie behauptete, Fataiistin zu sein, und der ›Tod sei nur eine
Erleesung‹, beanspruchte sie für ihre Angehörigen ein Höchstmaß an ärztlicher
Pflege. Ich hatte die Ilshenskys nie zu sehen bekommen, war aber restlos mit
ihren Leiden und Gewohnheiten vertraut. Mrs. Ilshensky hatte mich seit zwei
Jahren täglich mindestens einmal antelefoniert, um mir in dramatischen Tönen
den raschen Verfall ihrer Familie zu schildern. Sooft sie Jim bat, zu kommen,
lud sie mich ein, ihn zu begleiten — ›Mrs. Jay klingt im Telefon so-o
simpathisch‹. Jim war wie gewöhnlich entschieden dagegen, mich bei seiner
ärztlichen Tätigkeit assistieren zu lassen. An diesem Abend setzte ich ihm
wieder zu. »Bitte, nimm mich mit — ich werde kein Wort über Krankheiten sagen,
aber ich möchte für mein Leben gern das Haus sehen.« — ›Es ist ein ganz kleine
Chäuschen — nur zwanzig Zimmer — wie ein Zelt in Mongolei — es muß reichen, bis
wir uns entschieden chaben, in welchem Land wir uns niederlassen. Wir chaben es
uns ausgesucht, weil es uns an Rußland erinnert, aber möbliert ist es wie eine
amerikanische Chaus. Ich mechte so-o gern, daß Sie es sehen.‹
    Jim rauchte seine Zigarette und starrte
ins Leere. »Vielleicht kannst du sie überreden. Obwohl ich ihre Angehörigen
behandle, will sie selber mich nicht konsultieren — sie sieht schlecht aus und
behauptet, sie leide an der Amerikanerkrankheit.«
    Es war ein riesiges, weißes Gebäude,
das mich an gar nichts erinnerte. Der Bauherr hatte mit viktorianischen Türmen
begonnen, hatte dann, als er ein Haus von Frank Lloyd Wright sah, Hals über Kopf
die Jahrhunderte gewechselt, und nachher hatte offenbar seine Frau gesagt, sie
wolle etwas Solideres haben; deshalb waren die Fassaden des Monstrums mit
gewaltigen Stukkaturgeschwülsten übersät, die man nur durch Tiefenbestrahlung
hätte beseitigen können. Die Ilshenskys hatten das Haus direkt vom Erbauer
gekauft.
    Am nördlichen und am südlichen Ende
standen zwei runde Türme, die statt der Fenster kleine Schießscharten hatten.
Die Türme waren durch einen langen, flachen Mitteltrakt miteinander verbunden.
An die Stelle der Stukkaturbeulen traten im Mitteltrakt flache weißglitzernde
Stuckornamente — das Glitzern wurde durch kleine Glas- und Glimmersplitter
erzielt — , Glasziegelstreifen und riesige Fenster mit Stahlrahmen. Ober der
Eingangstür, die so groß war, daß sie für ein Fallgatter gereicht hätte, saß
ein riesiges russisches Wappen. ›Es is nicht kinstlerisch vollendet, aber es is
unser Cheim. Mein Mann muß eine stille Winkel chaben, wo er sich ausruhen
kann‹. Das Haus stand knappe drei Meter vom Bürgersteig entfernt und lag an
einer der belebtesten Verkehrsstraßen.
    Als Jim klingelte, dröhnte
Tschaikowskijs b-Moll-Konzert durchs ganze Haus.
    Ein dicker, blauäugiger, kleiner Junge
in einem

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