Setz dich über alles weg
entfernte sich mit ihnen durch ein
geschnitztes Portal in einen anderen Turm. Zum Glück war sie eine große,
kräftige Person. Ich sah, wie die beiden Berserker auf dem Weg zur Treppe wild
um sich schlugen und das Mädchen zu beißen versuchten, und dachte bei mir,
eines dieser lieben Kindlein würde genügen, um mich nervös zu machen, und beide
auf einmal würden mir einen kompletten Nervenzusammenbruch eintragen.
»Kleine Kinder sind so-o unglicklich!
Sie verstehen nicht eine Welt, die was von die Großen gemacht is, die alleweil
›nein‹ sagen.« Tanja seufzte. »Wenn es nicht wegen die Amerikakrankheit wäre,
chätte ich keine Kindermädchen, aber ich bin nicht stark genug, um allein mit
sie fertig zu werden.«
Da war sie schon wieder — die
Amerikakrankheit! Ich gab ihr den guten Rat, zu Jim zu gehen und sich gründlich
unterstehen zu lassen. Dann fragte ich sie, ob die Krankheit nicht auch noch
einen anderen Namen habe.
»Manche nennen es Wechseljahre«, sagte
sie und leerte gedankenvoll ein neues Glas Wodka. »Wenn der Cherr Doktor
cherunterkommt, wollen wir alle bissel Kaviar essen.«
14
Betsy
In diesem fanatischen Zeitalter, das
für alle und jedes seine zielbewußte Reklame, seine Forschungslaboratorien und
seine Bezeichnungen hat, erscheint es mir unentschuldbar, wenn eine Frau eine
Geschwulst in der Brust heimlich mit sich herumträgt, so als ob diese
Geschwulst die Folge einer unerlaubten Liebschaft wäre.
Ich kann nicht begreifen, warum man
seinen Arzt nach ebenso unvernünftigen und rein persönlichen Gesichtspunkten
wählen sollte wie einen Ehegatten und warum jede berechtigte und wohlbegründete
Kritik an dem Auserwählten mit einem entsprechenden Aufwand blinder Wut belohnt
wird.
Es ist nicht nur schwierig, sondern
zermürbend, stumm dabeisitzen zu müssen, den Mund mit dem Heftpflaster
ärztlicher Berufsethik versiegelt, während ein unschuldiges Opfer sagt: »Ich
muß eine komplette Elysterektomie durchmachen. Dr. Chop sagt, ich habe ein
Gewächs, und es ist besser, man nimmt es heraus, bevor ich Krebs bekomme. Sie
haben natürlich von Dr. Chop gehört?« Unter Ärzten wird er privatim der
Schlächter genannt, »hat die Schneidewut und schneidet alles auf, was
stillhält‹!
Ein anderes Unschuldswesen sagt: »Mein
Onkel hatte Leukämie. Die Ärzte behaupten alle, es sei eine tödliche Form von
Blutkrebs. Schließlich kam er zu Dr. Shot, wurde sechs Monate lang behandelt
und ist jetzt vollständig geheilt. Sie kennen Dr. Shot — ein wunderbarer Arzt,
nicht wahr?« Ich weiß, und sie müßte davon gehört haben, daß echte Leukämie
fast immer tödlich verläuft. Onkelchen hatte ganz einfach keine Leukämie
gehabt. Angebliche Wunderheilungen beruhen auf falschen Diagnosen. Dr. Shot
gilt als ein »dummer, alter Stümper, der eine Krebszelle nicht von einer
Spirochäte unterscheiden kann und alles mit Spritzen behandelte
Am meisten aber erschüttert mich die
gute Freundin, die von tüchtigen Ärzten umgeben und vor Angst blind, taub und
stumm geworden ist.
»Wann haben Sie diese Geschwulst (oder
Hautrötung oder Mattigkeit oder was für ein besonderes Symptom es sein mag) zum
erstenmal bemerkt?‹
›Schon vor einiger Zeit, Herr Doktor —
ich glaube, vor einem Jahr — aber ich hatte Angst, Sie aufzusuchen — ich hatte
Angst, es könnte Krebs sein.‹
Betsy Brandt gehörte zu dieser
Kategorie.
Dick Brandt war unser Anwalt. Dicks und
Betsys Farm ›The Patch‹ lag am anderen Ufer des Sees und war die Zuflucht der
Vernachlässigten. Wenn uns der gute Papa, das Telefon und die Kinderchen zuviel
wurden, packten wir unseren Koffer und fuhren für zwei Tage oder zwei Wochen zu
Betsy. Die Herren Doktoren verbrachten so manches Wochenende und so manchen
Donnerstagabend damit, von Dicks Landungsbrücke aus zu angeln und nachher eines
der himmlischen Mittagessen Betsys zu verzehren. Die Kinder verbrachten den
größten Teil des Sommers und möglichst viele Wintertage auf der Farm, ritten,
fütterten die Hühner und tranken Kuhmilch.
Betsy nahm sogar ab und zu an einer
Nähstunde des Klubs der Vernachlässigten teil. Sie wolle, sagte sie, nicht
regelmäßig erscheinen, weil sie zuviel mit der Farm zu tun habe und sich auch
nicht angewöhnen möchte, über ihre Eingeweide zu reden. »Alles zwischen Hals
und Knien ist mir ein Mysterium, und darüber bin ich heilfroh!« Sie schüttelte
sich. »Ihr mit euren ewigen Geschichten von Operationen und Krankheiten — ihr
kommt mir
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