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Setz dich über alles weg

Setz dich über alles weg

Titel: Setz dich über alles weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bard
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kann. Er kümmert sich nicht um mich — ich glaube, ich lasse mich
einfach untersuchen.«
    Die von den Patienten und aus den
gegenseitigen Telefongesprächen stammenden Symptome werden sorgfältig und
liebevoll wie bunte Perlen auf die lange Kette wachsender Beschwerden
aufgereiht. Die leichte Migräne, durch den Geruch der Farben erzeugt, ist nicht
durch das von ihm empfohlene Pyramidon zu beseitigen. Die Schmerzen im Kreuz, dadurch
verursacht, daß man drei große Beete mit Pflanzen besät hat — und es ist nicht,
wie er glaubt, ein gewöhnlicher Hexenschuß! — , reagieren nicht im geringsten
auf die Bestrahlung. »Er ist der Meinung, mit Wärme sei alles zu heilen — von
Elefantiasis bis Angina.«
    Angelgeräte und Wasserstandsmeldungen
häufen sich auf den Schreibtischen der Herren Ärzte, und in den Wartezimmern
drängeln die Patienten. Die klinischen Befunde, die die armen Arztfrauen mit
nach Hause bringen, haben alle den gleichen Wortlaut: Avitaminosis —
Vitaminmangel.
    »Weißt du, was er mit mir gemacht hat?
Wahrscheinlich dasselbe wie mit dir. Er hat die rechte Schublade aufgezogen,
hat mir ein Bündel Vitamine überreicht und mir geraten, mehr an die frische
Luft zu gehen. Dann hat er mir sein neues Angelgerät gezeigt. Nicht die
geringste ärztliche Pflege — überhaupt keine Rücksicht — ich habe, es so satt,
daß ich mich auf hängen möchte!«
    Schillernde Nebel wallen über den See,
die Nächte sind mild und’ warm. Der Frühling ist da...
    Faith gab die erste Gesellschaft — zu
Ehren Dr. Randolphs, eines Psychiaters, der auf Besuch gekommen war. Er hatte
mit Tod studiert und sollte einen Vortrag über psychosomatische Medizin halten.
»Ich lasse gerade den Keller weißen, und ausgerechnet da muß mir Tod mit seiner
üblichen List Gäste ins Haus bringen! Ich bin so erschöpft, daß ich nicht
reden, geschweige denn protestieren kann — du mußt also am Freitag zum Essen
kommen. Um sieben... nein, aber etwas Whisky kannst du mitbringen.«
    Am Freitag um halb acht war Jim dabei,
sich umzuziehen, und ich hob seine unsterilen Kleidungsstücke auf, wie sie
gleich welken Blumenblättern seiner schlappen Hand entfielen. Er ging zum
Fenster, nahm einen braunen Schlips und musterte ihn kritisch.
    »Dieser Randolph ist ein gerissener
Bursche.« Er lächelte versonnen. »Er wird dir gefallen.«
    »Wenn du dich nicht beeilst, werde ich
ihn nie mehr zu sehen b e kommen.
Es ist bereits halb acht.«
    Seufzend kehrte er zu seinem
Schlipshalter zurück. »Hast du meinen blauen Seidenschlips weggeschenkt, den
einzigen, den ich’ mochte?«
    »Nein — da hängt er ja, unter dem
blaugestreiften!«
    »Wo? Ich seh’ ihn nicht. Wie steht es
mit deinem Ausschlag?«
    »Am ganzen Körper. Und sag nicht, daß
es allergisch ist!«
    »Vielleicht ist es eine akkumulierte
Allergie gegen Ärzte.« Er fischte endlich die blauseidene Krawatte aus einem
unentwirrbaren Knäuel anderer Schlipse und begann sich die Taschen mit
Notizblättern, alten Versicherungsquittungen, einem Taschenmesser und einem
Kamm vollzustopfen. Ich unterdrückte mit Müh und Not einen Aufschrei: Müssen
deine Taschen wie Rucksäcke aussehen? Wir haben nicht weiter als sechs Blocks
zu fahren. Dann kratzte ich meine wunden Arme und blickte verdrossen zum
Fenster hinaus auf die zarten, chartreusegrünen Hartriegelblüten. Als ich mich
umdrehte, sah ich gerade, wie er drei halbvolle Zigarettenpäckchen und’ zwei
saubere Taschentücher in die hintere Hosentasche stopfte. Mit einem fröhlichen
Präventivlächeln wandte er sich zu mir. »Steh nicht herum, komm — es ist schon
spät!«
    Als wir an den Gärten mit ihren
blühenden Azaleen, Rhododendren und wilden Quitten vorbeifuhren, fragte ich
ohne besondere Absicht: »Sieht Doktor Randolph gut aus?«
    »Es ist mir nicht aufgefallen. Aber er
spricht gut. Und sehr vernünftig.« Er lachte in sich hinein. »Manchmal erzählt
er von ungeheuer komischen Fällen.«
    Als wir ankamen, ging ich mit meiner
Whiskyflasche gleich in die Küche. Faith war dabei, mit ihrer üblichen
Laboratoriumstechnik und ihren Meßgläsern Whiskycocktails zu mixen. Als ich
hereinkam, blickte sie auf. »Hallo, Mary — darf ich dir Doktor Randolph
vorstellen?«
    Ich war erstaunt, daß dieser Mann Jim
nicht aufgefallen sein sollte. Er war sehr groß, hatte weiße Haare, die wie
eine Bürste in die Höhe standen, die rabenschwarzen Brauen stießen über der
Nasenwurzel zusammen. Während er mit mir sprach, strömte wie bei einem

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