Setz dich über alles weg
geistigen
Niveau.«
»Vielleicht sollten Sie es nicht so
persönlich nehmen! Außerdem liefere ich den Herren Direktoren — mögen ihre unzufriedenen
Frauen auch noch so gehässig werden — eine Art Schutzfarbe in Gestalt
psychiatrischer Fachausdrücke. Wenn man einer wütenden Gattin die Worte
›emotionelle Instabilität ins Gesicht schleudert, ist das viel befriedigender
als das altmodische ›Ja-ja-ja-ja‹, und sie hat das dunkle Gefühl, es könnte
stimmen.«
Dorothy Jenkins mischte sich eifrig ins
Gespräch: »Was bedeutet eigentlich psychosomatische Medizin?«
»Psychische Defekte können ein
somatisches Trauma erzeugen. Das kommt sehr oft vor. Wenn die Ursachen der
psychischen Störung aufgedeckt werden, verschwinden die physischen Symptome.«
Pete warf ein: »Manchmal bekommen wir
Fälle von Pseudoschwangerschaft, wo die Patientin es tatsächlich fertiggebracht
hat, einen dicken Bauch zu kriegen, um Schwangerschaft zu simulieren.«
»Dann ist sie nicht die Frau eines
Arztes, da brauchte sie gar nicht erst zu simulieren!« Maggie betätschelte
zärtlich ihren schwellenden Bauch.
Jim machte einen entschlossenen
Versuch, das Gespräch in die klaren Gewässer medizinischer Diskussion
zurückzulenken.
»Ich hatte dieses Jahr einen
interessanten Fall von Hysterie. Die ersten prädomalen Symptome waren die
üblichen Kopfschmerzen und die übliche Müdigkeit, die endgültigen Symptome eine
Hypofunktion der Muskeln und zuletzt eine teilweise Lähmung. Es gab in dem
früheren Leben der Patientin gewisse angeborene Defekte, die aber bis dahin
keine chronischen Ausfallerscheinungen gezeigt hatten — das heißt, bis zu dem
Augenblick, da ihre Eltern ihr nicht gestatten wollten, einen bestimmten jungen
Arzt zu heiraten. Die psychische Störung war so groß, daß sie zusammen mit der
gefühlsmäßigen Aufzehrung endokriner Reserven eine partielle Neuroblockade
vasomotorischer Impulse verursachte, die schließlich zu Lähmungserscheinungen
führte.«
Wenn Jim mit wirklicher Anteilnahme
einen Fall schildert, für den er sich persönlich interessiert, ist er ein
Meister der beschreibenden Prosa. Wenn er aber dann den gleichen Fall seinen
Kollegen schildert, entfernt er sorgfältig jedes bißchen schmackhaftes Mark aus
den Knochen.
Ich machte mich an die mühsame Aufgabe,
die ursprüngliche Fassung zu rekonstruieren. »Erzähle uns erst einmal von dem
alten strengen Vater, Jim — «
Dr. Randolphs Gesichtstick wechselte
den Rhythmus und wurde schneller, so sehr interessierte ihn Jims Fall. »Ließ er
sich in keinem diagnostischen Schema unterbringen?« fragte er.
»Unseres Wissens kaum! Die üblichen
Geschichten: Vage Kopfschmerzen. Anorexia, Diarrhoe, Polyurie und physische
Erschöpfung, Sie war Krankenschwester, deshalb schrieb sie diese Symptome der
ständigen Spannung und Aufregung zu, die ihr Dienst in der psychiatrischen
Abteilung mit sich brachte.«
Faith sagte: »Sie hätte mit ihrer
Lähmung warten sollen, bis sie ihren Arzt geheiratet hatte! Dann wäre sie ihr
von Nutzen gewesen!«
Betty Randolphs kluge, blaue Augen
musterten Faith mit nachdenklichem Blick. »Machen Sie es wie ich, gehen Sie den
Problemen aus dem Wege — beschaffen Sie sich eine Arbeit! Dann verlangt man von
Ihnen nicht mehr, die ideale Gattin zu sein!«
»Frauen über Vierzig, die zu arbeiten
anfangen, gewinnen ihr Selbstbewußtsein zurück.« Dr. Randolph betrachtete Betty
liebevoll. »Meine Frau braucht keine Modetheorien, keine langwierige und
unbefriedigende Analyse. Sie hat ganz einfach die Lehrsätze einer guten
Verdauung und einer heiteren Gemütsverfassung konsequent auf ihr Leben
angewendet, und es scheint ihr restlos geglückt zu sein.«
»Die Sache ist wirklich sehr einfach!
Wenn mir eine Stanzerin schüchtern gesteht, daß sie kündigen will, weil sie
sich in einen gewissen Ole vergafft hat, besorge ich ihr eine Arbeit neben
besagtem Ole — das übrige muß sie selber schaffen. Wenn Jerry es nicht lassen
kann, Mabel zu kneifen, werden sie beide auf ein hohes Gerüst geschickt: Mabel
gewöhnt sich entweder daran, sich kneifen zu lassen, oder sie fällt herunter.
In einer Fabrik ist selbst die Satyriasis verhältnismäßig einfach zu
bewältigen.«
Die meisten Psychiater, die ich in
meinem Leben getroffen habe, sehen aus, als könnten sie ihre Tränklein selber
ganz gut gebrauchen, und Dr. Randolph machte trotz seiner Sirenentöne keine
Ausnahme. Er lebte in einer schrecklichen, inneren Spannung, die ihm
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