Seuchenschiff
Informationen von Thom hinzufügte.«
Ein Kind hätte die Kassette mit einem USB-Kabel und einem Laptop neu programmieren können, aber auch das behielt Kovac für sich. »Öffnen Sie sie.«
Martell gab seinen persönlichen Identifikationscode ein. Die Kassette gab einen Piepton von sich, und der Deckel hob sich. In der Kassette befand sich ein dicker Aktenordner. Kovac streckte die Hand aus, um ihn sich von Martell reichen zu lassen. Er blätterte ihn durch. Es waren Listen mit Namen, Schiffen, Heimathäfen, Zeitplänen sowie kurze Lebensläufe von Mannschaftsmitgliedern. Völlig harmlos für jeden, der ihre Bedeutung nicht kannte. Die aufgeführten Daten lagen zu weit in der Zukunft.
»Schließen Sie den Safe«, sagte Kovac zerstreut, während er im Ordner blätterte.
Martell gehorchte, stellte die Kassette zurück in das Stahlfach und schloss die Tür. »Ich bringe das Wachssiegel später an.«
Kovac funkelte ihn an.
»Oder ich mache es jetzt gleich.« Martells Tonfall klang spöttisch. Er hatte das Wachs in seinem Schreibtisch, und das Siegel war der Highschool-Ring, den er zwar trug, aber nicht rechtmäßig erworben hatte. Ein paar Minuten später bedeckte der Kilim-Teppich wieder den Fußboden, und Couch, Sessel und Tische standen an ihren angestammten Plätzen.
»Weiß Kyle Hanley irgendetwas über dies hier?« Kovac hielt den Aktenordner hoch, wie ein Zelot, der seinen Anhängern ein heiliges Buch zeigt.
»Nein, ich habe es Thom bereits erklärt. Hanley war erst kurze Zeit hier. Er hat die Maschinen wohl gesehen, hat jedoch keine Ahnung von dem Plan.«
Martells beiläufige Reaktion weckte Kovacs Misstrauen. Im Raum schien es spürbar kälter zu werden. Dies brachte Gil zu einer Entscheidung. Sobald Kovac abreiste, würde er sein Haus aufsuchen, ein paar Sachen zusammenpacken und mit der nächsten Maschine nach Zürich fliegen, wo er sein Nummernkonto hatte.
»Es ist möglich, dass er irgendwelche Gerüchte aufgeschnappt hat«, räumte er ein.
»Welche Gerüchte, Martell?«
Gil gefiel es gar nicht, wie Kovac seinen Nachnamen aussprach, und schluckte. »Nun, ein paar von den jungen Leuten hier reden von einem Kreuzfahrt-Seminar wie dem, das auf der
Golden Dawn
stattgefunden hat. Für sie schien es eine Riesenparty zu sein.«
Zum ersten Mal schien Kovacs kühle Fassade einen Riss zu bekommen. »Haben Sie irgendeine Ahnung, was mit diesem Schiff passiert ist?«
»Nein. Ich achte darauf, dass niemand hier die Nachrichten verfolgt oder ins Internet geht. Das gilt auch für mich. Warum, ist irgendetwas schiefgegangen?«
Kovac erinnerte sich an Mr. Severances Worte, als er an diesem Morgen aus Kalifornien angerufen hatte. Tun Sie, was Sie für richtig halten. Jetzt verstand er, was der Führer der Responsivisten gemeint hatte. »Mr. Severance hat nicht allzu viel Vertrauen zu Ihnen.«
»Was fällt Ihnen ein? Er hat mich mit der Leitung dieses Zentrums und der Ausbildung unserer Leute betraut«, plusterte sich Martell auf. »Er vertraut mir mindestens genauso viel wie Ihnen.«
»Nein, Mr. Martell. Genau dies ist nicht der Fall. Sehen Sie, vor zwei Tagen war ich auf der
Golden Dawn
und habe an einem Experiment teilgenommen. Es war grandios. Jeder auf diesem Schiff starb auf eine Art und Weise, wie ich sie mir in meinen schlimmsten Albträumen nicht habe vorstellen können.«
»Sie … was?«, rief Martell, entsetzt über die Neuigkeit und die ehrfürchtige Art, wie Kovac sie darbot. Als redete er über ein besonders bewundernswertes Kunstwerk oder die friedvolle Unschuld eines schlafenden Kindes.
»Sie sind tot. Und zwar alle, wie sie da waren. Und das Schiff wurde versenkt. Ich musste die Kommandobrücke abriegeln, ehe ich das Virus freisetzte, damit niemand melden konnte, was geschah. Es raste wie ein Buschfeuer durch das Schiff – und hat nicht mehr als eine Stunde gebraucht. Ob jung oder alt, es war völlig gleichgültig. Sie konnten sich nicht dagegen wehren.«
Gil Martell zog sich hinter seinen Schreibtisch zurück, als könnte er ihn vor dem Grauen dessen schützen, was er hören musste. Er griff zum Telefon. »Ich muss Thom anrufen. Das kann nicht sein.«
»Na los doch. Rufen Sie ihn an.«
Martells Hand schwebte über dem Telefonhörer. Er wusste, wenn er anrief, würde Thom alles bestätigen, was der perverse Kerl erzählt hatte. Zwei Dinge schossen ihm durch den Kopf. Das erste war, dass er selbst tief in dieser Sache drinsteckte. Und das zweite: dass Kovac niemals zulassen würde,
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