Seuchenschiff
bitte um, und gehen Sie auf die Knie runter.«
Zum ersten Mal, seit Juan die Waffe gezogen hatte, zeigte Kerikov so etwas wie Angst, obwohl er es schaffte, sie aus seiner Stimme zu verbannen. »Sie haben bekommen, was Sie wollten.«
»Ich werde Sie nicht töten.« Juan holte das Etui mit den Injektionsspritzen hervor und nahm eine der Spritzen heraus. »Es ist die gleiche Droge, die ich al-Asim verpasst habe. Sie sind ein paar Stunden lang weggetreten. Mehr nicht.«
»Ich hasse Spritzen. Lieber wäre mir, wenn Sie mir ein paar über den Schädel gäben.«
Juan schmetterte seine FN derart kraftvoll gegen Kerikovs Schläfe, dass ein oder zwei Pfund zusätzlicher Wucht den Knochen gebrochen und ihn getötet hätten. Er brach wie ein implodierendes Gebäude zusammen. »Ganz wie Sie wollen«, sagte Juan und stach die Injektionsnadel trotzdem in seinen Hals.
Die Außenwand von Kerikovs Büro bestand aus gekrümmtem Glas, das sich vom Schiffsrumpf leicht nach außen wölbte. Juan öffnete eins der Fenster und blickte nach oben. Niemand stand an der Reling über ihm. Er zog seinen Smoking, sein Oberhemd und seinen Anzug aus, der ihn erheblich dicker aussehen ließ. Darunter trug er ein hautenges T-Shirt mit langen Ärmeln. Nachdem er den wasserdichten Beutel unter dem Shirt verstaut und Kerikovs Pistole aus dem Fenster geworfen hatte, streifte auch er seine Schuhe ab und ließ sich ins Wasser gleiten.
Solange er sich still verhielt und nicht nach oben blickte, so dass sein Gesicht nicht zu erkennen war, ließ ihn seine schwarze Perücke mit dem tintenschwarzen Mittelmeer verschmelzen. Er schwamm am Rumpf der
Matryoshka
entlang nach vorn, bis er die Ankerkette erreichte. Dort tauchte er ab und zog sich Glied für Glied an der Kette entlang nach unten bis zu der Tauchausrüstung, die Eddie und Franklin im Laufe des Tages dort deponiert hatten.
Er nahm das Draeger-Atemgerät auf den Rücken und legte Gewichtsgürtel, Schwimmflossen und Tauchmaske an. Dann orientierte er sich anhand des Leuchtkompasses, den sie ebenfalls für ihn zurückgelassen hatten. Die
Oregon
war nur anderthalb Kilometer weit entfernt, und bei der nachlassenden Flut würde er ganz gut vorankommen.
Während er schwamm, schwor er sich, dass dies nicht das letzte Mal gewesen wäre, dass er Ivan Kerikov einen Besuch abgestattet hatte, und dass es dem Russen bei ihrer nächsten Begegnung sicher nicht so gut ergehen würde.
32
Es war für Mark und Linda nicht allzu schwierig gewesen zu verschleiern, dass sie über keine Kabine verfügten. Sie besorgten sich Kleidung und Toilettenartikel in den Läden und konnten in der Garderobe duschen, die zu den Fitnesseinrichtungen des Schiffes gehörte. Sie schliefen schichtweise in den Liegestühlen am Swimmingpool und verbrachten die Nächte im Kasino. Mit seinem fotografischen Gedächtnis hatte Murph, der ein erfahrener Kartenzähler war, die vierhundert Dollar, die sie an Bord mitgebracht hatten, in ein ansehnliches Sümmchen verwandelt. Er hätte sogar ein Vermögen verdienen können, wenn er es gewollt hätte. Aber sie mussten um jeden Preis ihre Anonymität bewahren, daher gab er sich mit bescheidenen Gewinnen zufrieden.
Das alles änderte sich schon am zweiten Tag.
Für die anderen Passagiere war die Schließung des Raums, der die Möglichkeit zu einer direkten Kommunikation zwischen Schiff und Land gestattete, lediglich eine winzige Störung ihres Bordalltags. Ein paar Geschäftsleute beschwerten sich zwar, aber die meisten anderen Leute bekamen es gar nicht mit oder störten sich nicht daran.
Mark und Linda wussten natürlich, dass etwas nicht stimmte. Und es gab auch gewisse Anzeichen dafür. Sie sahen mehr Mannschaftsmitglieder auf den Decks herumstreifen, demonstrativ mit Wartungsarbeiten beschäftigt. Stattdessen verbrachten sie viel Zeit damit, die Passagiere zu beobachten. Noch verlangte niemand, dass man ihm seine Kabinenschlüssel zeigte, aber Linda und Murph wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es so weit käme.
Klar war, dass die Nachricht von blinden Passagieren auf der
Golden Sky
in Umlauf war und dass die Schifffahrtslinie sie um jeden Preis aufstöbern wollte.
Besorgniserregender als diese Information waren die Schnupfen.
Am Morgen ihres zweiten Tages an Bord des Schiffes klagten eine Anzahl Passagiere und Mannschaftsmitglieder über laufende Nasen und gelegentliche Niesanfälle. Indem sie die Leute im Bereich des Swimmingpools und im Speisesaal belauschten, kamen sie zu
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