Seuchenschiff
hervorging.
Er erreichte sie mit einer Bugwelle, die auf den Steg spülte und sie zwang, einen Schritt zurückzuweichen, um die Gucci-Schuhe zu retten, die sie zu einer Khakihose und einem schlichten Oxfordhemd trug. Darüber hatte Julia ihren allgegenwärtigen Laborkittel gezogen. Juan Cabrillo schlug am Beckenrand an und schaute zu der überdimensionalen Stoppuhr hinauf, die an der Wand hinter ihr hing.
»Verdammt, ich werde alt«, stellte er fest, nahm die Schwimmbrille ab und streifte sich die Gewichte von beiden Handgelenken.
»Hätte ich jetzt nicht gedacht.« Julia warf ihm ein Handtuch zu, während er sich in einer einzigen fließenden Bewegung aus dem Wasser hievte.
»Ich bin seit einer halben Stunde hier unten«, sagte Juan und trocknete mit einem flauschigen Handtuch seinen Körper ab. Falls er so etwas wie Verlegenheit empfand, weil er nur mit einer knappen Badehose bekleidet vor ihr stand, so merkte man es ihm nicht an. Aber an seiner äußeren Erscheinung gab es auch nichts, weshalb er sich hätte schämen müssen. »Vor fünf Jahren hätte ich noch mindestens fünfzehn weitere Bahnen schwimmen können.«
»Und vor fünf Jahren hatte ich noch keine Krähenfüße. Also finde dich damit ab«, sagte sie mit einem Lächeln, das enthüllte, dass die winzigen Linien in ihren Augenwinkeln Lachfältchen und keine Anzeichen eines voranschreitenden Alterungsprozesses waren.
»Wie heißt es doch: ›Jugend ist an die Jugendlichen vergeudet‹?«
»Ich hab das Gefühl, dass du von deiner nicht viel vergeudet hast, Juan Cabrillo.«
Er lachte verhalten, widersprach jedoch nicht. »Du trägst keine Schwimmkleidung, also bist du nicht hier runtergekommen, um dir das exzellente Beef Wellington, das wir zum Dinner hatten, abzutrainieren. Was ist also los?«
Ein Ausdruck der Sorge verdüsterte Julia Huxleys Miene. »Wir haben ein kleines Problem. Nun, es ist eigentlich Max’ Problem, aber ich denke, wir sind alle davon betroffen.«
Julia war keine ausgebildete Psychologin, aber ihre medizinische Ausbildung und ihre stets beruhigende Art machten sie de facto zur Lebensberaterin des Schiffes.
Cabrillo legte sich das feuchte Handtuch über die Schultern und sah Hux aufmerksam an. »Erzähl mal.«
»Er wurde heute Abend von seiner Ex-Frau angerufen.«
Juan unterbrach sie. »Da gibt es insgesamt drei, von denen man eine wählen muss. Welche war es?«
»Lisa. Nummer zwei also. Die in Los Angeles, mit der er auch Kinder hat. Er hat mir nicht alle Einzelheiten erzählt, aber seine Ex denkt offenbar, dass ihr Sohn gekidnapped wurde.«
Einige Sekunden lang reagierte Juan nicht. Keine von Max’ Frauen wusste, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Wie die meisten Mitglieder der Truppe erzählte Hanley seiner Familie, er sei Seemann und arbeite für eine kleine Schifffahrtslinie. Daher glaubte Cabrillo nicht, dass die mögliche Entführung irgendetwas mit seiner Tätigkeit bei der Corporation zu tun hatte. Aber er konnte diese Idee auch nicht vollständig verwerfen. Sie hatten sich im Laufe der Jahre eine Menge mächtiger Feinde gemacht. Schließlich fragte er: »Gab es irgendeine Lösegeldforderung?«
»Nein, noch nicht. Sie glaubt zu wissen, wer hinter dem Kidnapping steckt, hat jedoch beim LAPD und beim FBI kein Gehör gefunden. Sie möchte, dass er mithilft, das Kind zurückzuholen.«
Max’ Sohn dürfte mittlerweile zwei- oder dreiundzwanzig Jahre alt sein, erinnerte sich Juan. Seine Tochter war ein paar Jahre älter, eine frisch gebackene Anwältin, auf Umweltrecht spezialisiert. Kyle Hanley hingegen hatte es kein ganzes Jahr am College ausgehalten und sich seitdem in der Subkulturszene von L. A. herumgetrieben. Er war zwei Mal wegen Besitzes einer geringen Drogenmenge verhaftet worden, aber Juan glaubte zu wissen, dass er zwei Jahre zuvor in den Entzug gegangen und seitdem sauber war. Obwohl er schon ein paar Jahre, bevor Juan die Corporation gründete, geschieden worden war, erinnerte er sich daran, Max’ Frau bei einigen Gelegenheiten getroffen zu haben. Max hatte Cabrillo versichert, dass sie früher eine liebevolle, wunderbare Frau gewesen war, dass jedoch irgendetwas sie zu dieser habgierigen Paranoikerin gemacht hatte, die ihn der Untreue bezichtigte, während eigentlich sie es gewesen war, die ständig irgendwelche Affären gehabt hatte.
Max hatte sich mit der Erziehung ihrer Kinder alle Mühe gegeben und sogar weitaus mehr an Alimenten und Unterhalt für seine Ex-Frau und seine Kinder gezahlt,
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