Seuchenschiff
Die beiden anderen Männer hatten wohl Wachdienst gehabt.
»Und, Hux?«, fragte er, ehe sie ihre entsetzliche Aufgabe beendet hatte.
»Es ist möglich, dass es irgendein Gasangriff war, aber bei so vielen Opfern draußen auf dem Deck tippe ich eher auf eine neue Form von hämorrhagischem Fieber, das schlimmer ist als alles, von dem ich je gehört habe.«
»So etwas wie ein Super-Ebolavirus?«, fragte Eddie.
»Schneller und aggressiver. Dies hier ist zu hundert Prozent tödlich. Ebola Zaire, die schlimmste der drei Arten, hat eine Todesrate von neunzig Prozent. Das Blut ist nicht schwarz, was mich zu der Vermutung bringt, dass es noch nicht in seinen Verdauungsapparat eingedrungen ist. Dem Tröpfchenmuster nach zu urteilen hat er es ausgehustet. Das Gleiche trifft auf die Frau zu. Es muss aber auch noch etwas anderes beteiligt gewesen sein.« Behutsam hob sie den Arm des Offiziers. Er war so biegsam und schlaff wie ein Tentakel. »Den Knochen wurde so viel Kalk entzogen, dass sie sich fast aufgelöst haben. Ich glaube, ich kann mit den Fingern seinen Schädel eindrücken.«
»Schon gut«, sagte Juan, ehe sie es ihm demonstrieren konnte. »Irgendeine Idee, womit wir es zu tun haben?«
Sie stand auf und benutzte ein Desinfektionstuch, um ihre Handschuhe zu säubern. »Was auch immer es ist, auf jeden Fall handelt es sich um ein künstlich geschaffenes Virus.«
»Bist du sicher?«
»Absolut. Und zwar aus keinem anderen Grund als dem, dass dieses Virus seinen Wirt viel zu schnell tötet, um natürlich zu sein. Wie jeder andere lebende Organismus sind Viren gezwungen, sich so oft wie möglich zu reproduzieren. Indem es seinen Wirt innerhalb von Minuten zerstört, hat es nicht allzu viel Zeit, um von einem Wirt auf den nächsten überzuspringen. Ein Ausbruch dieser Krankheit würde genauso schnell versiegen, wie er aufgeflammt ist. Sogar Ebola braucht zwei Wochen, um seine Opfer zu töten, so dass ihm genügend Zeit bleibt, auch noch Familienangehörige und Nachbarn anzustecken. Auf Grund des Prinzips der natürlichen Auslese wäre dieses Virus schon vor langer Zeit eingegangen.« Sie sah ihm in die Augen, damit ihm die Bedeutung ihrer nächsten Feststellung unmissverständlich klar wurde. »Jemand hat dieses Virus in einem Labor hergestellt und auf diesem Schiff erst freigesetzt.«
Juan war hin und her gerissen zwischen dem Mitleid mit den armen Männern und Frauen, die sich auf der
Golden Dawn
befunden hatten, als das Virus freigesetzt wurde, und rasender Wut auf diejenigen, die diese Attacke ausgelöst hatten. Man hörte seiner Stimme die Wut sogar über Funk noch deutlich an. »Such, was nötig ist, um diese Kerle festzunageln.«
»Wird gemacht, Juan.« Fehlte nur noch, dass sie salutierte. Doch solche Rituale waren bei der Mannschaft der
Oregon
nicht üblich.
Juan machte auf dem Absatz kehrt und ging durch eine Tür, die ins Innere des Schiffes führte, nach achtern.
Der Korridor dahinter war dankenswerterweise leer, und auch in den Kabinen, in die er hineinschaute, traf er niemanden an. Nach dem Kleid der jungen Frau auf der Kommandobrücke und der anderen Passagiere zu urteilen, die sie mit Hilfe des UAV und während des Hubschrauberflugs hierher hatten sehen können, vermutete er, dass eine große Party im Gange gewesen war und die meisten Kabinen daher leer gestanden hatten. Als er die Überprüfung der Offiziersquartiere abgeschlossen hatte, öffnete er eine andere Tür, die in den Bereich führte, den die Kreuzfahrtgesellschaften als Hotelsektion des Schiffes bezeichneten. Wenn auch nicht so opulent ausgestattet wie die meisten modernen Kreuzfahrtschiffe, so konnte die
Golden Dawn
doch mit einem soliden Anteil an poliertem Messing und Plüschteppichen in allen Pinkschattierungen aufwarten. Der Klang seines Atems war alles, was er hörte, als er einen Balkon erreichte, von dem aus er in ein Atrium schauen konnte, das vier Stockwerke tief bis zu einem glänzenden Marmorfußboden hinabreichte. Ohne Beleuchtung glich das hohe Foyer einer schäbigen Höhle. Der Taschenlampenstrahl wurde von den Schaufenstern einer Boutique tief unter ihnen so reflektiert, dass Juan für einen Moment glaubte, eine Bewegung gesehen zu haben.
Er war nervös und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Überall im Atrium lagen Leichen verstreut, jede von ihnen qualvoll verrenkt. Einige lagen auf den Treppen, als hätten sie sich hingesetzt, um auf das Eintreten des Todes zu warten, während andere zusammengebrochen sein
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