Sex and the Office
Wenzel reichte mir vom Tablett einer vorbeilaufenden Angestellten ein Glas Mineralwasser. Ich leerte das Glas in einem Zug, hielt mir aber in der nächsten Sekunde wieder keuchend die Kehle. »Die Kanapees – ich fürchte, ich habe eine Gräte im Hals«, krächzte ich. »Bin gleich wieder da.« Unter den Blicken von Leon Wenzel und den umstehenden Gästen eilte ich zu den Waschräumen. Kaum hatte ich die Tür zur Toilettenkabine hinter mir zugeknallt, ließ ich mich mit dem Rücken dagegen sinken und atmete kräftig durch. Kurz überlegte ich, ob ich mich kopfüber in die Toilettenschüssel oder aber besser aus dem Klofenster stürzten sollte. Beides erschien mir wenig effektiv. Nach reichlicher Überlegung kam ich zu dem Entschluss, dass Angriff die beste Verteidigung wäre. Ich eilte zum Waschbecken und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Mit Schrecken betrachtete ich mein Spiegelbild. O Gott, wie sah ich denn aus?! Meine Mascara war vom Regen verlaufen, und meine Haare klebten an mir wie eine zweite Haut. Hastig langte ich nach dem Papierhandtuchspender. »Komm schon, du Mistding!« Wie wild rüttelte ich daran, doch der Spender wollte partout nichts ausspucken. Im Spiegel sah ich Ricarda Fabiani zur Tür hereinkommen.
»Wollen Sie das Ding aus der Wand reißen?«
Ohne ihr Beachtung zu schenken, wischte ich mir mit einem Papierhandtuch die verlaufene Mascara weg und band mir die Haare zu einem Zopf. Noch etwas Lipgloss, und ich sah aus wie neu. Na ja, fast. Tief durchatmend stolzierte ich erhobenen Hauptes aus der Damentoilette, als ob nie etwas gewesen sei. Rücken gerade, Brust raus. Es wäre schließlich nicht meine Schuld, wenn ein in die Jahre gekommener Mann wie Foster sich nicht mehr an eine unbedeutende Reporterin wie mich erinnerte. Leon Wenzel stand vor einer überdimensionalen Aktfotografie und betrachtete die üppigen Brüste der porträtierten Schauspielerin.
»Geht es Ihnen wieder besser?«, erkundigte er sich, als ich mich wieder zu ihm gesellte hatte.
Ich nickte und brauchte auf den Schock erst einmal ein neues Glas Wein.
»Tja, Mister Foster haben wir jetzt leider verpasst. Er ist gerade gegangen.«
Mir fiel ein zentnerschwerer Stein vom Herzen.
»Ach wirklich?« Ich strich mir den Pony aus dem Gesicht und blickte mich scheinheilig um. »Das ist ja jammerschade.«
»Schönes Armband«, bemerkte Leon Wenzel dann so aus dem Nichts und nahm mein Handgelenk, um das Schmuckstück näher zu betrachten.
»Danke, es ist ein Erbstück meiner Großmutter«, sagte ich und vergrub meine Hand in der Hosentasche. Wir sahen uns noch eine Zeit lang in der Galerie um, sprachen über die Ausstellung, über mein Interview mit Monique Silver und nicht zuletzt über unsere unglückliche erste Begegnung im Coffeeshop. »Das mit dem hirnverbrannten Idioten tut mir übrigens leid«, fühlte ich mich bemüßigt zu sagen. Wenn ich etwas von meiner Mutter gelernt hatte, dann war das Lügen, ohne rot zu werden. Leon Wenzel blieb stehen und grinste mich an. »Um ehrlich zu sein, könnte ich Gefallen daran finden, wenn Sie mit vulgären Ausdrücken um sich werfen.«
Oh, bitte!
»Wobei mir Dreckschwein fast noch am besten gefallen hat«, fuhr er fort.
Entsetzt schlug ich die Hand vor den Mund. Becks! Ich hatte in dem ganzen Stress völlig vergessen, Onkel Gustavo anzurufen! Was war ich bloß für eine Freundin! Während ich mich mit meinem Chef auf einer Vernissage herumtrieb, versauerte Becks meinetwegen in einer spanischen Zelle!
»Stimmt was nicht?«, fragte Leon Wenzel.
»Das kann man wohl sagen«, gab ich mit belegter Stimme zur Antwort. »Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden? Bin gleich wieder da.« Ich ließ ihn erneut stehen und verließ überhastet die Galerie.
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, und der Regen hatte aufgehört, als ich mit dem Handy am Ohr die Straße hinunterlief, um Onkel Gustavo anzurufen. Zu meinem Pech erreichte ich nur seine Mailbox. Gleiches galt für Tante Greta. Meine Stimme überschlug sich, als ich beiden eine Nachricht hinterließ, die unmissverständlich klarmachte, wie dringend die ganze Angelegenheit war. Zusätzlich schickte ich ihnen noch eine SMS. Mir war kotzübel vor schlechtem Gewissen. Wie ich so auf dem Bordstein auf und ab lief, malte ich mir aus, wie Becks inzwischen Opfer eines sadistischen Gefängniswärters, einer Massenvergewaltigung oder aber für Menschenversuche missbraucht worden war, da kündigte der Signalton meines Handys eine SMS an.
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