Sex ist verboten (German Edition)
mein Schließfach in seiner Anwesenheit zu öffnen. Dann würde ich mich sicherer fühlen. Wollte ich es wirklich endlich tun? Der Schlüssel steckte in der Seitentasche meines Rucksacks. Aber warum wollten alle im Institut, dass ich wegging? Sie hatten sich vollkommen von der Welt zurückgezogen – Mi Nu, die Harpers, Paul, Livia –, sie hatten mit dem Sex abgeschlossen, sie hatten alles aufgegeben. Warum waren sie so wild darauf, mich wieder in die Welt hinauszuschicken? Als hätte ich es nicht verdient, bei ihnen zu bleiben. Ich war nicht rein genug. Oder vielleicht empfanden sie mich als Bedrohung. Ich war eine Bedrohung für Mrs. Harper, weil sie sich zu mir hingezogen fühlte.
Ich fing an zu lachen. Sie wollten wohl eher nett sein. Mi Nu riet mir um meinetwillen, wegzugehen. So wie Jonathan immer gesagt hatte: »Du bist zu jung für mich, Betsy M. Zu jung für einen gescheiterten alten Künstlersack.«
Ich holte meinen Schlüssel, aber Geoff war nicht bei den Schließfächern. Zwei jüngere Typen lasen gerade Fußballergebnisse auf einem iPhone. Dann fiel mir ein, dass meine Handtasche auch im Schließfach lag. Mit Fotos und Prepaidkarte und Bargeld darin. Nicht viel. Und meinem Pass. Elisabeth Jane Marriot. »Du siehst aus wie eine Jeannie aus der Flasche«, sagte Jonathan. Mein Haar war so wild, die großen Zähne, die Glubschaugen.
Ich fing an zu frösteln. Ich bückte mich, schob den Schlüssel ins Schloss und hielt inne. Hatte ich mir nicht geschworen, meine Sachen erst dann wieder herauszuholen, wenn ich es ganz ruhig machen konnte, wenn die Nachrichten im Handy, die Fotos in der Handtasche, das blöde Amulett, die Ohrringe mir nichts mehr bedeuteten? Mach dein Schließfach erst auf, wenn du befreit bist, habe ich mir immer wieder gesagt. Warum also jetzt?
Weil du ruhig bist, sagte eine Stimme. Du bist befreit. Lisas Stimme.
Das Schließfach lag in der unteren Reihe. Ich hockte mich hin, drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür.
Das Pocus-Demoband. Das hatte ich ganz vergessen.
Safe Crash.
Und ein Fläschchen Chanel, dass ich Mum vor der Frankreichreise geklaut hatte.
Dann ging alles automatisch. Innerhalb von Sekunden war ich in der Küche, steckte das Ladegerät in die Steckdose für die Küchenmaschine und schaltete das Telefon ein. Wie war noch mal die PIN-Nummer? Ich hatte sie vergessen. Denk nach. Jonathans Alter, und dann Carls. 5229. PIN angenommen. Guthaben? £ 1,78. Ich rief Mum an.
»Elisabeth! Großer Gott!«
»Hallo Mum.«
Schweigen.
»Mum?«
»Tu mir leid, Liebes. Ich sitze am Steuer, telefonieren ist gerade ein bisschen schwierig. Wo bist du? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Oh, mir geht’s gut. Ich bin nicht weit weg. In einem buddhistischen Zentrum.«
»Buddhistisch? Du bist doch nicht Buddhistin geworden.«
»Ja und nein, irgendwie.«
»Aha.«
Was sollte ich sagen?
»Hat Dad sich bei dir gemeldet?«, fragte sie.
»Was? Wie denn?«
»Du weißt es also noch nicht?«
»Was?«
Ralph kam mit einem Wagen voller schmutziger Tellerdurch die Schwingtür und fing an, sie im Waschbecken zu stapeln. Ich zog mich in Richtung Helfer-Eingang zurück und presste das Handy fest an mein Ohr.
»Dein Vater ist ausgezogen, Elisabeth. Kurz vor Weihnachten. Warte mal, ich muss rechts ranfahren. Bleib dran.«
Als sie wieder ans Telefon kam, weinte sie. Dad hatte sie verlassen. Nach einunddreißig Jahren. Sie hätte nie gedacht, dass es so wehtun würde.
»Ich habe das Gefühl, total versagt zu haben, Elisabeth. Ich habe komplett versagt.«
»Ich komme sofort«, sagte ich.
»Nein, nein, tu das nicht, Liebes.«
»Ich komme heute Abend.«
»Nein, Elisabeth. Bitte nicht.« Sie holte ein Taschentuch hervor. »Das ist nett von dir, aber ich will nicht, dass du wegen unserer Probleme deine Pläne umschmeißt. Vielmehr wegen meiner Probleme. Ich bin sicher, deinem Vater geht es bestens. Er …«
»Heute Abend bin ich da, Mum.«
SEIN PAKET
ES WAR NACH HALB SIEBEN , nun noch knapp eine halbe Stunde bis zum letzten Abendvortrag, in dem Dasgupta einem sagt, wenn es in seiner Philosophie etwas gibt, woran man nur schwer glauben kann, dann soll man es einfach weglassen und den Rest annehmen, wie der Junge, der die Suppe seiner Mutter nur ohne die gute Einlage wollte, ohne die würzigen Samen und die kleinen Klöße. »Wenn Sie nicht an die Wiedergeburt glauben können, dann lassen Sie sie weg, das macht nichts, wenn Sie nicht an
sankharas
glauben können, lassen Sie sie weg.
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