Sex ist verboten (German Edition)
ich dann dableiben? Warum? Warum können wir uns nicht trennen? Was ist los mit uns?
So war es bei mir und Carl in Frankreich. Genau so. Ich konnte es nicht ertragen, wenn er mich anfasste. Aber wie soll man einem Mann in einem Zelt aus dem Weg gehen?
Warum dreht sich alles in diesem Tagebuch um mich?
Tag 6. Habe mich für ein Gespräch mit dem Kursleiter eingetragen. Er heißt Ian Harper. Aus reiner Neugier. Ich erwarte nicht, dass er mir helfen kann. Zehn Minuten im Wohnzimmer seines Bungalows. Der Typ, der vor mir dran war, konnte mir nicht in die Augen schauen, als er herauskam. Finsterer Blick, dicke Wangen, buschige Augenbrauen. Harper sitzt im Sessel. Rosig und adrett. Graue Strickjacke. Könnte Personalchef bei Waterstones sein. Typische Mittelklasse-Einrichtung, Tisch Sessel Sofa, Regale mit CDs. Wirkt irgendwie altmodisch. Weiß nicht genau, warum. Ich in einem Sessel ihm gegenüber. Er fragt, wie ich vorankomme. Kann ich den Atem auf meiner Lippe spüren, kann ich meine Aufmerksamkeit durch meinen Körper lenken und in allen Teilen Empfindungen aufspüren, kann ich in den Stunden der Festen Entschlossenheit ruhig sitzen?
Vipassanā für Dummköpfe.
Als ich den Mund aufmache, um zu antworten, frage ich mich, ob wohl ein Ton herauskommen wird. Ich habe seit Tagen nicht gesprochen.
Es hängt von meiner Stimmung ab, erkläre ich ihm. Meine Stimme kommt mir dünn vor, ein bisschen zu hoch. Ich erzähle, dass ich starke Stimmungsschwankungen erlebe. Euphorie, Depression. Manchmal kann ich die Position halten, im Schneidersitz, wenn es mir gelingt, mich auf meinen Atem zu konzentrieren, oder auf eine andere Empfindung irgendwo im Körper. Dann ist es ziemlich angenehm. Ich spüre ein angenehmes Glühen. Manchmal muss ich mich alle paar Minuten bewegen. Ich leide Todesqualen. Ich weiß nicht, wie ich jemals auch nur zehn Minuten lang so sitzen konnte, ganz zu schweigen von einer vollen Stunde. Ich weiß nicht, wie die anderen so engelsgleich dasitzen können, als gäbe es die Zeit nicht. Sie sind bereits in die Ewigkeit eingegangen. Die Leiterin drüben bei den Frauen, diese Asiatin. Wie eine in Luft gemeißelte Statue.
Er nickt bedächtig. Er ist gelangweilt.
»Die Wahrheit ist«, gestehe ich, »zu Hause haben wir im Augenblick eine kleine Krise, die dazu führt, dass ich die ganze Zeit darüber nachdenke, was mich wohl erwartet, wenn ich hier fertig bin. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren.«
Schweigen. Er will sich nicht darauf einlassen. Er will nichts hören von meiner Ehekrise. Man kann es ihm nicht übel nehmen. Mit vollkommen neutraler Stimme fragt er mich, womit ich mein Geld verdiene.
»Ich leite einen kleinen Verlag. Leider stehen wir kurz vor der Insolvenz.«
Wieder nickt er bedächtig. Er will es nicht wissen. Schwer zu sagen, ob er mich wirklich ganz genau betrachtet oder ob er nurdarauf wartet, dass die zehn Minuten um sind. Wieso macht er diesen Job? Ist es ein Job? Wird er dafür bezahlt?
Ich frage: »Kann mir die Meditation irgendwie helfen? Ich neige zur Panik, und ich fürchte, nächste Woche werde ich tatsächlich panisch. Und dann werde ich etwas Falsches tun. Es stehen schwere Entscheidungen an. Kann die Meditation mir helfen?«
Er blinzelt. Vielleicht nimmt er mich jetzt endlich wahr.
»Sind Sie ins Dasgupta-Institut gekommen, um dieser Situation aus dem Weg zu gehen?«
Es ist eine aggressive Frage, aber es gelingt ihm, seine Stimme entspannt und friedfertig klingen zu lassen, so als spiele es kaum eine Rolle.
»Sagen wir mal, um etwas Abstand zu gewinnen, ehe die Kacke zu dampfen anfängt.«
»Leiden Sie in solchen Situationen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Wer würde da nicht leiden? Ich verliere alles, wofür ich gearbeitet habe. Es ist meine Firma. Ich habe sie aus dem Nichts aufgebaut.« Dann sage ich: »Und gleichzeitig trenne ich mich von meiner Frau. Ich werde mein Zuhause verlieren.«
Ich wünschte, ich wüsste, dass ich mich trennen werde. Ich wünschte, es wäre beschlossene Sache. Erledigt.
Er seufzt. Nach kurzem Schweigen fragt er: »Kennen Sie die Geschichte vom Buddha und dem zweiten Pfeil?«
»Nein.«
Langsam werde ich wütend.
»Ein Schüler hat dem Buddha eine ganz ähnliche Frage gestellt wie Sie mir.«
Seine Stimme klingt präzise, bürokratisch, wie aufgezeichnet, aber in seinem Gesicht erkenne ich jetzt so etwas wie Freund lichkeit.Schwer zu beschreiben. Eine unpersönliche Freundlichkeit, falls das einen Sinn ergibt. Ich versuche,
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