Sex und Folter in der Kirche
Gründe, die Christenverfolgungen ähnlich zu übertrei-ben wie die Zahlen, die sie nennen,150 wenn sie ihresgleichen als Opfer und nicht als Täter sehen: Immerhin schlachteten Christen, wenn im Zusammenhang mit menschlichem Leben überhaupt auf-gerechnet sein darf, in einem einzigen Jahr ihrer Judenverfolgung mehr Menschen ab, als im Lauf von zwei Jahrhunderten Opfer von Christenverfolgungen durch römische Kaiser zu beklagen waren.151 In Polen werden allein 1648 gegen zweihunderttausend
Juden ermordet; keine von christlichen Autoren angegebene Zahl aus den antiken Christenverfolgungen erreicht nur annähernd die dieser Christentäter.152 Warum sollten die Opfer dieser Christen nicht in einem zutreffenderen Sinn Märtyrer153 genannt werden?
Unredlich zwar, die Verluste der Christenheit geringzuschätzen, indem sie einfach heruntergerechnet werden; jeder Mensch, der gewollt gequält oder vernichtet wurde, ist einer zuviel. Doch auch in bezug auf die Folter neigt sich die Waage nicht zugunsten der Christenheit. Denn der direkte Vergleich zwischen gefolterten Christen und folternden Christen fällt zu Lasten der christlichen Folterer aus: Die Zahl ihrer Opfer bleibt um ein vielfaches höher als die der gemarterten Christen. Das in der Christentheorie so berüchtigte »Heidentum« war nicht entfernt so grausam wie die Praxis des von derselben Theorie heiliggesprochenen Christentums.
Zum anderen spricht viel für eine Übertragungsthese: Die von
Christen an anderen geübten Foltern wurden allem Anschein nach 217
beflissen auf »Heiden« übertragen, um die eigene, passive Verfolgung, den sogenannten Opferstatus, weithin sichtbar und für alle nachvollziehbar zu machen und gleichzeitig den Vorwurf der Tä-
terschaft (aktiver Status) abzuwehren: die massenhafte Verfolgung, Folterung, Ermordung der Gegner. Obgleich sich hierzu kaum
Untersuchungen finden, fällt auf: Christliche Legenden übertrugen in Wort und Bild die Folter- und Exekutionsmethoden, die zur Zeit ihrer Entstehung von Christen geübt wurden, auf die frühen Märtyrer und Heiligen ebender Christen.154 Werden in der christlich
beeinflußten Ikonographie Bilder von oft nur erfundenen, unhisto-rischen155 Märtyrern vorgezeigt, so weisen diese in aller Regel Folterinstrumente und -techniken vor, die aus späterer Zeit stammen und christliche Praxis waren. Sie wurden auf die frühere
Epoche zurückdatiert.156 Das dürfte kein Zufall sein, sondern stellt eine Verunglimpfung des nichtchristlichen Menschen zugunsten
christlicher Vorzeige-Opfer dar.
Das Rösten von Menschen, um ein Beispiel zu nennen, taucht
noch in europäischen Darstellungen des siebzehnten Jahrhunderts auf.157 Beliebt war die Wiedergabe des Phalarisstieres, einer Erfindung, die dem Tyrannen von Akragas (heute Agrigent) zugeschrieben wurde. Der metallene Stier sollte in seinem Inneren die Opfer aufnehmen; ein Feuer wurde unter seinem Bauch entfacht, und die Menschen im Inneren wurden auf schlimmste Weise geröstet. Ihr Schreien und Stöhnen drangen durch den geöffneten Mund des
Tieres und erzeugten die von Folterern wie Zuschauern gewünschten Bellgeräusche. Doch gibt es zum einen keine Beweise für eine entsprechende antike Praxis; Phalaris († 554 vor der christlichen Zeitrechnung) galt seinen Zeitgenossen als gebildeter und humaner Herrscher. Zum anderen sind solche einem »Heiden« unterschobe-nen Marterstiere als Requisiten europäischer Folterkammern zwischen 1500 und 1700 nachzuweisen.
Die Legendenbildung verfolgte zwei Hauptziele: Einerseits
konnte möglichst vielen suggeriert werden, daß »Heiden« im allgemeinen, von Natur aus, grausam waren und ihre Folterniethoden besonders im Kampf gegen Christen schrecklichste Formen annah-men. Andererseits wurden die Gläubigen von der tatsächlichen
Grausamkeit ihrer Zeitgenossen abgelenkt, die ihre Orgien gegen die als Feinde definierten Hexen, Ketzer, Juden feierte. Dieses doppelsinnige Vorgehen stellt einen weiteren frommen Betrug in der 218
Geschichte des Christentums dar. Er straft jene Lügen, die nur von den Ausgeburten »heidnischer« Phantasie sprechen. Es waren
Christen, die diese Phantasie nicht nur weiterträumten, sondern in die blutige Tat umsetzten.158 Gerade auf diesem Gebiet sind Vorstellungen zurechtzurücken und neue Gewichtungen zwischen
»Heidentum« und Christentum vorzunehmen. Beispielsweise erreichen die furchtbarsten Bilder von der Dornenkrone »Jesu« nicht die Wirklichkeit der von Christen
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