Sex und Folter in der Kirche
Tatsachenberichten, das gesamte Mittelalter hindurch und ziehen sich bis ins neunzehnte Jahrhundert.187 Sie wurden noch um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert von Klerikern wie dem österreichischen Professor und Kanonikus August Rohling verbreitet.188
Rohling erfreute sich des besonderen Wohlwollens des Kardinal-erzbischofs von Prag, Franz Graf von Schönborn, und dessen Bruders, des österreichischen Justizministers.189 Auch die katholische Religionspädagogik verwandte die Legenden bis ins zwanzig-222
ste Jahrhundert hinein, mit kirchlicher Druckerlaubnis.190
Berichte über kannibalistische Vorgänge und andere abergläu-
bisch-magische Riten waren unter strenggläubigen Christen nicht selten; sie bezogen sich auf irgendwelche andere, auf Angehörige christlicher Sekten, denen die Abschlachtung getaufter Kleinkinder, der Verzehr von Fleischteilen und männlichem Sperma sowie das Trinken von Menstruationsblut191 vorgeworfen wurden.192
Christliche Bußbücher, die zwischen 600 und 1000 entstanden und weite Verbreitung fanden, setzen freilich ähnliche Vorkommnisse auch innerhalb der strenggläubigen Gemeinden voraus; sie belegen den Kannibalismus mit Strafbußen.193 Auch die Volksmedizin
glaubte in weiten Teilen Europas an eine Wirkung frischen Blutes, vor allem wenn es von Gefolterten und Hingerichteten stammte.194
Noch 1890 wurde ein Christ verurteilt, der zwei Kinderleichen von einem jüdischen Friedhof gestohlen hatte, um den Typhus zu be-kämpfen. Der einschlägig Vorbestrafte gab zu Protokoll, es gebe zwei Arten dieser Krankheit: Die eine, die katholische, sei allein mit dem Vaterunser zu besiegen, während die andere, die jüdische, der Knochen von Juden bedürfe.195 Aberglaube, der sich mit Körperteilen Toter befaßt, ist auch aus Klöstern überliefert: so das Trinken geweihten Wassers aus Schädeln, die Märtyrern zugeschrieben
wurden.196
»Jedes Jahr, besonders um die Osterzeit wird die Beschuldigung erneuert, daß die Juden oder, wenn auch nicht alle Juden, so doch Juden zu rituellen Zwecken Christenblut gebrauchen«, leitet der Theologe H. L. Strack noch 1900 sein oft aufgelegtes Buch Das Blut im Glauben und Aberglauben der Menschheit. Mit besonderer Berücksichtigung der Volksmedizin und des jüdischen Blutritus ein. Der Berliner Universitätslehrer hatte Grund für sein Vorwort.
Er konnte nicht nur aktuelle Fälle von schlimmstem AntiJudaismus belegen197 und nachweisen, daß jüdische Religionsgesetze den Blut-genuß und die Verwendung von Leichenteilen strikt untersagen,198
ja die jüdische Volksmedizin weitaus weniger als die christliche Blut verwendete.199 Er war auch in der Lage, Beweise für die vielfachen Beschuldigungen, blutigen Martern und Pogrome in Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien, Frankreich und der Schweiz beizubrin-gen,200 für die Christen, zur Verteidigung ihrer heiligsten Glaubens-gegenstände, verantwortlich zeichneten — und die mit folgenlosen Entschuldigungen201 nicht aus der Welt zu schaffen sind.
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Seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts gab die (legendäre) Erscheinung der blutenden Hostien vielfach Anlaß zu der Anklage, Juden hätten die in das Fleisch Christi verwandelten Brote durch-stochen oder durchschnitten und damit geschändet. Aus der An-
klage erwuchs die Rechtfertigung für das Pogrom, so gegen sechsunddreißig märkische Juden, die 1510 wegen Hostienschändung
gefoltert und verbrannt wurden.202 Der Widerspruch einzelner
Christen gegen das Vorgehen ihrer überzeugtesten Glaubensgenossen, selbst die Schutzbullen von Päpsten für die Juden hatten wenig Erfolg; offenbar gelang es der obersten katholischen Macht nicht einmal zu Zeiten ihres größten gesellschaftlichen Einflusses, sich in dieser Angelegenheit gegen die Jüngerschaft durchzusetzen.203 Die siebenhundertjährige Blutbeschuldigung204 der Christen gegen die Juden erwies sich als stärker. Überall wurden einzelne Juden oder ganze jüdische Gemeinden verleumdet, aus rituell-religiösen Gründen für das Passahfest christliche Kinder eingefangen und ermordet zu haben.205
Aus der Überfülle dieser Verleumdungsverbrechen einige Bei-
spiele: In der Nacht zum Karfreitag (!) des von Sixtus IV. ausge-schriebenen »Jubeljahres« 1475 soll ein dreieinhalbjähriger Junge mit Namen Simeon in Trient einem jüdischen Ritualmord, also
einem Mord zur Gewinnung rituell zu nutzenden Christenblutes, zum Opfer gefallen sein. Sein Blut soll dazu gedient haben, in das ungesäuerte Passahbrot
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