Sex und Folter in der Kirche
in Verbindung zu bringen ist noch immer gewagt.3 Kaum ein Fernsehredakteur könnte es riskieren, das
Thema auch noch zu bebildern, obgleich Material genug vorhan-
den ist, aus Geschichte und Gegenwart. Doch Verbindungen herzustellen zwischen Gangster-Bräuten und Jesus-Bräuten4 gilt als un-fein. Weltreligionen sind von Haus aus prüde: So etwas gehört sich nicht; wir sagen von vornherein zur Geschlechtlichkeit nur bedingt ja, zur Gewalt eindeutig nein.
Der gegenwärtige Satanismus antwortet offener; er bejaht so-
wohl Sexualität als auch Gewalt:5 »Ich habe dem Kaninchen kurzerhand den Hals durchgeschnitten. Das Blut wurde in einer Opferschale aufgefangen und eine geweihte Hostie darin aufgelöst.
Benno und ich durften das Blut aus der Opferschale allein für uns trinken. Dann haben wir vor aller Augen miteinander gevögelt.«6
Manche schütteln sich jetzt, obwohl sie soeben ein Buch über Sex, Folter, Christentum lasen: Unter Christen, unter Kirchengläubigen gar, kommt so etwas nicht vor. Gewiß nicht, möchte ich bestätigen.
Denn das kirchliche Christentum hat anderes anzubieten: eine
Geschichte und Gegenwart der Gewalt und der Geschlechtlichkeit, gegen die das Blut eines Kaninchens und ein Koitus von zwei
Jugendlichen gering zu veranschlagen sind. Verglichen mit den kollektiven Exzessen der Christenheit (Kreuzzüge, Ketzer- und Hexenjagden), wirken die heimlichen Veranstaltungen der Satanssekten wie ein trotziges Spiel unartiger Kinder.7
Masken und Gesichter
Kirchenvertreter hätten es am liebsten, wenn allen Menschen beim Wort »Christentum« nur Choralgesang, Weihrauch, Friedhofs-238
kreuze, Weihnachtsglocken, Bibellektüre, Nächstenliebe einfielen.8
Dann bliebe die Sonnenseite ihrer Religion beleuchtet. Doch auf der Schattenseite waren ungleich gewaltigere Kräfte am Werk — und sie sind bereits wieder tätig. Die sexuelle und die politische Aufklä-
rung, die nie von der Religion ausgingen, waren auch nie Lieblings-kinder der Christenheit.
Legenden bedürfen des Goldes; ihr Geruch und Geschmack wir-
ken heiligmäßig süß. Doch die Wirklichkeit des Abendlandes, das in den Reden von Politikern und Kirchenleuten so oft vorkommt, sieht anders aus: ein Bodensatz der Schmerzen zuerst, darauf ein blutig-harter Basalt quer durch Europa gelegt. Dann ein Gemenge von Knochen und Fleisch, das in unzähligen Folterwerkstätten der Christenheit hergestellt wurde, in Städten und Städtchen. Es war zusammengesetzt aus den Teilen unzähliger Menschen, die von
ihren Mitmenschen zerrissen, zersägt, erwürgt, verbrannt, geschändet, gebraten und zerkocht worden sind. Diese Suppe aus verrotten-dem Blut, aus zerquetschten Gebeinen, aus verfaulenden Kadavern riecht nicht gut. Doch sie gibt den wahren Geruch der Geschichte ab.9
Zum Himmel »unseres Gottes« stinkt er nicht. Christliche Scha-densbegrenzung, Imagepflege genannt und 1993/1994 mit evange-
lischem wie katholischem Werbegeld in Millionenhöhe dotiert,10
bleibt beim christentümelnden Zungenschlag. Sie weiß, warum: Er verschafft der Teilnahmslosigkeit, der Verweigerung des Mitleids für die Opfer wie der Absolution für die Täter Konjunktur. Opfer und Täter tauchen ins gleiche Vergessen ein; diese Gleichsetzung stiehlt den Gefolterten nochmals die Würde. Mitten unter uns.
Die erotische Erfahrung verpflichte uns im Prinzip zum Schweigen, bemerkt Georges Bataille in einer Studie über das Verhältnis zwischen dem Heiligen, der Erotik und der Gewalt.11 An einer
anderen Stelle sagt er, daß auch die Gewalttätigkeit still ist.12 Niemand ist jedoch verpflichtet, Geschlecht und Gewalt in den Kellern des Heiligtums zu belassen, in die sie sich zurückzogen, um Millionen Opfer zu begraben. Wie hieß es noch gestern? Aus dem Christentum kommende Kriminalität? Nie gehört. Wie tönt es heute?
Wir wissen schon — und Schluß. Abermals ist geleugnet, was Christen den Unzähligen angetan, die dem jeweiligen Glaubensstandard nicht entsprechen konnten. Und jüngst predigte Johannes Paul II., es sei unserem Jahrhundert vorbehalten geblieben, Menschen allein 239
deswegen zu ermorden, weil sie einer falschen Rasse angehörten.13
Wohlweislich verschwieg der Papst, daß seine Kirche nicht so lange warten wollte, um Menschen wegen ihres falschen Glaubens auszulöschen.
Welche Wahrheit liegt, bitte schön, in der Mitte? Von Folter, Mord und anderen Verbrechen, die der Christenheit anzurechnen sind, mußte berichtet sein. Meine Herren in Schwarz, Lila,
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