Sex und Folter in der Kirche
Folter und Mord zu sprechen.
Immerhin beschuldigte der Ausschuß gegen Folter der Vereinten Nationen Ende 1993 über siebzig Länder der systematischen Folter.145 1981 waren es laut Amnesty International Sechsundsechzig der hundertvierundfünfzig Mitgliedsstaaten der UNO, in denen
gefoltert wurde, und in mehr als fünfzig Staaten konnte ein Mensch ohne Anklage oder Prozeß eingesperrt werden. Die psychiatrische Folter wird nicht überall als solche anerkannt oder aufgeführt.146
Eingehende Untersuchungen erbrachten den Nachweis, daß
1992 in der Türkei sechzehn Personen, darunter drei Minderjährige im Alter zwischen dreizehn und sechzehn Jahren, infolge von Folterungen starben147 - und noch 1993 in diesem NATO-Land gefol-
tert wird, das alle Konventionen gegen die Folter unterschrieb.
Trotz einiger Maßnahmen der Regierung wird an verschiedenen,
dem Innenministerium unterstehenden Orten systematisch die Folter angewandt. »Systematisch« bedeutet: Es handelt sich um keinen Zufall, keinen Einzelfall (obgleich auch dies verwerflich wäre!), sondern um eine gewohnheitsmäßige, weitverbreitete und absicht-liche Praxis. Sie gilt als so normal, daß es keinen journalistischen Hinweis mehr wert ist, wenn gefoltert wird.148
Meldung 1993: Bundeskanzler Kohl äußert bei seinem Besuch in
Ankara: »Wie komme ich dazu zu denken, daß die Türkei Men-
schenrechte nicht beachtet?«149
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Offiziell wurde die Folter bereits 1838 de facto durch einen Erlaß des Sultans aufgehoben; seit 1858 ist das Verbot auch im Strafgesetzbuch festgeschrieben.150 Die gegenwärtige türkische Regierung bestreitet wie selbstverständlich alle Vorwürfe, sieht sich aber bisher außerstande, ein nationales Programm zur Bekämpfung der
Folter zu erstellen. Auch eine unabhängige Kommission mit Ärzten, Anwälten und Experten, die Zugang zu Gefängnissen und Verhör-zentren der Polizei erhielte, ist nicht in Sicht. Noch gibt es als
»Särge« bezeichnete Einzelzellen, in denen - sie sind etwa sechzig mal achtzig Zentimeter klein, ohne Licht und ausreichende Luftzuführung — die Opfer nur stehen oder knien können. Noch ist der Gebrauch von Augenbinden bei Verhören nicht verboten.
Am Beispiel solcher Binden läßt sich belegen, was Folter sein kann. Im ersten Augenblick reagieren wir vielleicht zurückhaltend auf das Wort »Augenbinde«: Ist sie wirklich so schlimm? Ist sie Folter? Erst nach und nach stellt sich das Gespür für den Zustand der verbundenen Augen ein. Wer eine Binde tragen muß, ist derart desorientiert und verletzlich, daß er abhängig ist wie ein Behinderter. Er bleibt physisch hilflos und psychisch eingeschüchtert. Das bewirkt ein simples Stück Tuch. Obgleich die Gefolterten nichts sehen können, sind sie selbst auf absurde Weise sichtbar: Objekte,
die Hohn und Mißhandlung erdulden müssen. Demgegenüber
bleibt der Folternde unsichtbar, namenlos, sicher vor möglicher Entdeckung und Verfolgung. Er kann es sich bequem machen und
die Allmacht des Sehens nutzen. Kein Wunder, daß manche Folterer sich völlig auf Augenbinden verlassen, die mitunter jahrelang nicht abgenommen werden dürfen.151 Die Gewalt im Dunkeln, die Geräusche, wenn ein Freund geschlagen wird, die bange Erwartung, der nächste zu sein, ohne es kommen zu sehen, sind schlimmste Qual.
Die Türkei, wiederum »nur« ein außerchristliches Problem, eine Frage an die andere, die islamische Welt?152 Der UN-Ausschuß
behandelte 1993 auch Berichte über Paraguay, Ekuador, Polen,
Portugal. Es handelt sich um Staaten, deren weitaus überwiegende Bevölkerungsmehrheit römisch-katholisch ist. In Paraguay, bekanntlich von Jesuiten beackert, gehören neunzig Prozent der Einwohner der »Staatsreligion« an, fast der gesamte Rest der Bevölkerung zählt sich zu einzelnen protestantischen Denominationen.
Ekuador gibt ähnlich hohe Zahlen an, und Portugal hat fast acht-261
undneunzig Prozent Katholiken unter seiner Bevölkerung. Konfessionslose machen eine verschwindend geringe Minderheit aus.
Der UN-Ausschuß stellte fest, daß in Paraguay gefoltert wird und das Strafvollzugssystem nicht einmal Minimalanforderungen ge-nügt. Ähnlich sieht es in Ekuador aus. In Portugal gibt es trotz Regierungsbemühen Mißhandlungen und Folter in Polizeistationen und anderen Haftorten.153 Ich nehme an, daß in den drei
Ländern die Polizei nicht ausschließlich in nichtchristlicher Hand ist. Auch ist es allzu simpel, die Folterer pauschal als schlechte Christen zu
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