Sex und Folter in der Kirche
Ideologien, deren Kollaboration offenbar nichts im Wege stand. Besonders die Tätigkeit des damaligen Nuntius, Pio Laghi, fordert zu Nachforschungen heraus.175 Der rang-265
höchste Vertreter des Vatikans in Argentinien war eine der wichtigsten ideologischen Stützen des Militärregimes. Er ergriff die Partei der Täter, setzte deren Vaterlandsliebe der Liebe zu Gott gleich, überbrachte denen, die »ich als Brüder ansehe«, den Segen des Papstes. Die Brüder wurden vom Nuntius eigens gelobt, weil sie
»getreu den Befehlen ihrer Vorgesetzten zum Opfer ihres eigenen Blutes bereit sind«.
Über das Vergießen fremden Blutes verlor der Oberhirte kein
Wort. Dabei mußte er über die Vorgänge informiert gewesen sein: Wer, wenn nicht ein päpstlicher Nuntius, sollte in solchen Angelegenheiten Bescheid wissen? Laghi unternahm nichts. Seine persönliche Nähe zum Chef der Junta, dem ebenfalls praktizierenden
Katholiken Videla, und seine amtliche Überzeugung als Nuntius verhinderten, daß er die in einem so katholischen Land besonders beträchtliche Macht der Kirche gegen Folter und Mord mobilisiert hätte. Doch als ihm und dem Vatikan der argentinische Boden zu heiß wurde, nahm ihn der Papst176 aus der Schußlinie und machte ihn zu seinem diplomatischen Vertreter in den USA.
Was war unter der Amtszeit Laghis und mit seinem Segen geschehen? Die »Verteidigung unseres Gottes« und der christlichen Werte als ideologische Motive waren so überzeugend, daß die Folterer bis hinunter zu den niederen Dienstgraden sie verstanden. Warum
auch nicht? Lateinamerika vollzog die europäische Neuzeit nicht vollständig und flächendeckend nach; die Mehrzahl der Bevölkerung lebt zur Zufriedenheit der Bischöfe in den Vorstellungen eines Glaubens, den europäische Theologen nicht aufbringen, der aber deswegen nicht »abgeschafft« ist. Das Gegenteil ist wahr. Ein Beispiel: Bei der Durchsuchung eines Hauses, dessen Besitzer entführt wurden, zerstörten die Täter alles, was sie vorfanden, und schmier-ten schließlich die Parolen »Es lebe König Christus!« und »Christus erlöst!« an die Wand.177 Keine Entgleisung: Wer das gängige Bild
»unseres Gottes« und die erprobte »Jesus«-Lehre der Jüngerschaft kennenlernte, wird sich nicht wundern; alles paßt.
Am 28. April 1983 veröffentlichten die Streitkräfte zum Ab-
schied ein Schlußdokument178, das jede Nachforschung verhindern sollte und sich mit Vokabeln aufputzt, die katholischen Sprachrege-lungen entstammen. Der schmutzige Krieg gegen andersdenkende
Mitbürgerinnen wird darin als erfolgreiche Dienstleistung für die Gesellschaft definiert, und nachgewiesene Übergriffe sind als be-266
dauerliche Einzelfälle bezeichnet, die »vor dem Gewissen des einzelnen dem Urteil Gottes sowie dem Verständnis der Menschen
unterliegen«. Dann werden die verschwundenen »Terroristen« für tot erklärt - und ihnen wird sogar »verziehen«: »Mögen sie in der Einheit ihrer Gotteskindschaft Vergebung finden.«
Kaum war die Junta gestürzt, wurden nach und nach Hunderte
von nichtidentifizierten Leichen aufgefunden, von denen die meisten Folterspuren aufwiesen. Der Prozeß gegen die Junta erbrachte faktisch eine Entlastung der Schuldigen, die unzählige Brutalitäten begangen hatten. Es gab ganze fünf Verurteilungen, in drei Fällen zu geringen Strafen. Folter und Mord blieben nahezu folgenlos.
Dieses Ergebnis war nicht nur für argentinische Militärs sehr beru-higend, sondern auch für alle anderen Regimes des Kontinents. Die Machthaber in Südamerika atmeten auf. Brasilien amnestierte
1979 Hunderte von namentlich ausgewiesenen Folterern und be-
ließ viele von ihnen im Staatsdienst.179 Offenbar konnte es weitergehen wie gewohnt. Der Subkontinent, in den nach dem Zweiten
Weltkrieg viele Nazis geflohen waren, kennt daher noch immer
Folterer, die eine besondere Bewunderung für die Methoden Hitlers hegen.180
Übrigens: Hohe Vertreter der katholischen Kirche hatten seinerzeit den flüchtigen Nazis geholfen; vatikanische Pässe waren hoch begehrt und für die Täter, die sich plötzlich als Opfer sahen, auch zu erreichen. Der Vatikan, der unter anderem die Menschenrechts-charta der Vereinten Nationen noch immer nicht unterzeichnet
hat, half nach Kräften mit.181 Offensichtlich entdeckten manche Prälaten nicht in den Jahren zwischen 1933 und 1945, sondern erst danach ihr Herz für Menschen, die Opfer sind.
Auch Frankreich folterte in den fünfziger Jahren, in seinem
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