Sex und Folter in der Kirche
Doch bis dahin und weit darüber hinaus vermochte sie, von getauften Weißen legitimiert, Hunderttausende von Mitmenschen an Leib
und Leben zu schädigen.192
Folgerungen, auch für Christen
Meine Bitte an die Christen unter den Leserinnen: Machen Sie sich keine Illusionen! Lassen Sie sich keinen Sand in die Augen streuen!
Die folgenden Sätze warten auf ihre Widerlegung:
• Es waren ausschließlich getaufte und fast immer auch bekennende Christen, die in Europa jahrhundertelang folterten!
• Es waren Bischöfe und Päpste, die die passende Ideologie ausarbeiteten, die Menschenfolter legitimierten und ihre
Gläubigen zum Gebrauch widerwärtigster Werkzeuge aufboten!
• Es sind noch heute ungezählte Christen zu finden, welche die 269
ihnen als böse Gegner bezeichneten Mitmenschen foltern!
• Es sind fast ausnahmslos die Oberhirten der christlichen Kirchen, die zur menscbenverachtenden Vergangenheit ihrer Religion schweigen!
• Es gibt offizielle Repräsentanten der Christen, die noch immer nicht ihr Versagen gegenüber den aktuellen Folterpraxen in ihren Ländern zu erklären bereit sind!
Gewiß fanden sich auch Verfolgungen von Christen in der jüngsten Vergangenheit, gewiß gibt es solche auch in der Gegenwart. Aber: Sie geschahen und geschehen nicht nur durch die berühmten anderen, durch »Ungläubige«. Vielmehr sind auch Christen gegen Christen am Werk! Doch Kirchen lassen fast ausschließlich über die Verfolgung ihrer Mitglieder durch sogenannte Neuheiden berichten, nicht aber über die Christenverfolgung durch die eigenen Gläubigen.
Ich stelle mir vor, daß genügend engagierte Christinnen aufstehen, die mehr Solidarität mit den historischen und den gegenwärtigen Opfern aufbringen, als sie es von ihren Bischöfen gewohnt sind.
Denn nur jene, die im Grunde ihres Herzens anderen nicht zu
vergeben bereit sind, verzeihen den Opfern nicht und ergreifen die Partei der Täter. Sie glauben, daß den Gefolterten und Ermordeten, alles in allem, von bedauerlichen Einzelfällen abgesehen, doch recht geschehen sei, weil sie kriminell gewesen seien. Und sie glauben ebenso fest, daß auch »unser Gott« nicht vergeben könne. Darum erfinden sie die ewige Höllenqual193 und halten an ihr fest. Viele bestehen prinzipiell auf einer diesseitigen und/oder einer jenseitigen Chance auf Bestrafung und Folterung aller Mitmenschen, die als Böse (Irrende, Abweichende, Glaubenslose, Kriminelle, politisch Oppositionelle) definiert und selektiert wurden. So etwas haben Menschen aber nicht nötig. Christen sollten sich, falls noch nicht geschehen, aus den offiziellen und privaten (jenseitigen) Höllen verabschieden, austreten aus den vermittelten Regelkreisen und Ideologien ihrer Kirchen. Was gefordert ist, unter Menschen gefordert: Abbruch, Zäsur, Befreiung. Es ist möglich, »das Verstummen in Sprache« umzuwandeln und »die Schreckenslähmung in Widerstand«194. Darin besteht der Appell an die Lebenden, Überlebenden -
und unser aller Chance. Die Geschichte des Menschen steht erst am Beginn.
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Anmerkungen
Versuch, zuzuschauen
1 K. Deschner/H. Herrmann, Der Anti-Katechismus. 200 Gründe gegen die Kirchen und für die Welt (München 1993), S. 13 ff.
2 H. Herrmann, Vaterliebe. Ich will ja nur dein Bestes (Reinbek 1989), S. 87ff.
3 FOCUS Nr. 49/1993 vom 6. 12. 1993, S. 92 (auch zum folgenden).
4 Vgl. vor allem die Untersuchungen des französischen Literaturwis-senschaftlers R. Girard: Das Heilige und die Gewalt (Zürich 1987); Das Ende der Gewalt (Freiburg 1983); Der Sündenbock (Einsiedeln 1988).
5 A. Holl, Im Keller des Heiligtums. Geschlecht und Gewalt in der Religion (Stuttgart 1991), S. 173 ff.
6 H. Mynarek, Denkverbot. Fundamentalismus in Christentum und Islam (München 1992), S. 28 (auch zum folgenden).
7 Holl, a.a.O., S. 147.
8 Vgl. z. B. zu dem von Sektenbeauftragten erweckten Eindruck, in den neuen Bundesländern boome der Markt der religiösen und pseudoreligiösen Heilslehren: G. Schedel, »Selbstverwirklichung, Synkretis-mus und die Sieben Gebote. Eine wichtige Studie zum Verhältnis von Jugend und Religion«, in: Materialien und Informationen zur Zeit (MIZ) Nr. 4/93, S. 7.
9 Mynarek, a.a.O., S. 28 (auch zum folgenden).
10 H. Herrmann, Die Kirche und unser Geld (München 1993), S. 14,43, 53 ff. und 216 ff.
11 H. Herrmann, »Pecunia non olet«, in: E. Dahl (Hrsg.), Die Lehre des Unheils. Fundamentalkritik am Christentum (Hamburg 1993), S. 236.
12 Herrmann, Kirche und Geld, S. 73
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