Sex und Folter in der Kirche
verstümmelte Menschen? Ist dies so, dann bleibe auch ich ein solcher; diese Sätze kann ich nicht lesen, ohne daß mir Tränen in den Augen stehen. Doch wann guckten wir das letzte Mal weg, als ein Tier geschlagen wurde? In welcher Form lieben wir die Tiere? Als Zulieferer für Kosmetik? Als Schoßhunde und Schmusekätzchen? Auf den Tellern unserer Feinschmeckerei?
Der bundesdeutsche PEN-Club (Writers-In-Prison-Committee)
berichtet zur Frankfurter Buchmesse 1993 von den in letzter Zeit ermordeten Schriftstellern, Journalisten, Übersetzern, Redakteu-ren, Verlegern: neunzig Tote in zwölf Monaten, zwischen Juli 1992
und Juli 1993. Viele weitere werden verfolgt, bedroht, verschleppt, inhaftiert, gefoltert. Der PEN-Club ruft dazu auf, den Lebenden zu helfen. Und wir? Reicht uns jener Umgang mit der Schriftstellern, den wir am Feuilleton schätzen? Bleiben wir auf bequeme Bestseller beschränkt?
Kulturelle Sonderwelt: So umschreibt eine soziologische Stu-
die101, die Wissenschaftler der Universität Trier eben erst erstellten, die in deutschen Landen angetroffenen sadomasochistischen Szenen und Rituale: »Pünktlich erschienen die Wissenschaftler zum Gesprächstermin in einer noblen Villa. Sie wurden ins Dachge-schoß geführt, wo der Interviewpartner die Besucher schon erwartete. Das Gebaren des Gastgebers war freilich etwas eigenartig: 38
Nackt und gefesselt baumelte er von der Decke.« FOCUS berichtet weiter: »Manche der Folterfreunde waren erst zu Auskünften bereit, nachdem sich die Forscher derlei Mutproben und Ekeltests unterzogen hatten.« Nach schwieriger Vorarbeit gelang es schließ-
lich, einhundertdreiundvierzig praktizierende Sadomasochisten zu Interviews zu bewegen. Was unter anderem herauskam: Frauen
holen auch in dieser Szene auf, kontaktsuchende Damen kommen
auf ihre Kosten und erhalten auf ihre Annoncen Hunderte von
Zuschriften.
Sadomaso-Orgien unterscheiden sich von »echter«, also poli-
tisch, religiös, weltanschaulich motivierter Folter durch das Einverständnis der Opfer. Mit einem Stoppcode, einem vorher vereinbar-ten Wort, können diese bei allzu großem Schmerz oder Ekel die Veranstaltung abbrechen. Mißachtet die quälende Person diesen Code, droht ihr der Ausschluß aus der Szene. Dennoch kommen
Überschreitungen vor. Es gibt Selbsthilfegruppen, in denen Opfer versuchen, über ihre Foltertraumata hinwegzukommen.
SM und wirkliches Leben werden meist scharf getrennt. Vor den Folterstuben, bevor es zur Sache geht, sprechen Extremerotiker im gemütlichen Plausch über Kinder und Ehe, Sport und Auto, Urlaub und Arbeit. Doch gibt es Hinweise darauf, daß Berufs- und SM-Rolle oft entgegengesetzt sind: Führungskräfte lassen sich gern als Sklaven behandeln, berufliche Underdogs zahlen es den Bossen
symbolisch heim. Läßt der Universitätsprofessor die Hosen herunter und will er richtig verdroschen werden, freut sich eine Sekretärin über ihre unübliche Dominanz. Übrigens: Den größten Prozentsatz der befragten Sadomasochisten stellt die Berufsgruppe der Ange-stellten (vierzig Prozent). Der Anteil der Beamten (sechs Prozent), Studierenden (neun Prozent) und Arbeiter (zwei Prozent) ist relativ gering.
»Wenn ich dann festgebunden bin, liegt die Befreiung eigentlich darin, daß ich nicht mehr verantwortlich bin für das, was ich mache... Ich habe kein schlechtes Gewissen, im Gegenteil, ich bin befreit, losgelöst und ruhig«, beschreibt ein Mann das höchste seiner Gefühle. SM bedeutet Ausstieg aus dem rationalen Kalkül
und der Selbstkontrolle im modernen Leben, Selbstverwirklichung unter der Folter, kurz: »etwas Höheres, etwas Besseres« und »eine schwer beschreibbare Steigerung des Lebensgefühls, die Befriedigung des Existenzhungers... Über den Körper breitet sich erst 39
Spannung und dann tiefe Wärme aus«.
Brutale Fesselung und Auspeitschen sind die gebräuchlichsten
Quälereien, bisweilen kombiniert mit Leder- und Gummifetischismus. Ein Partner berichtet: »Dann spannte sie mich über den Bock und verabreichte mir tausend Hiebe, bis mein Hintern wie Feuer brannte und blutige Knötchen sichtbar wurden... Sie hängte mir Gewichte an die Hoden und setzte Klammern auf meinen gestriem-ten Hintern... Sie hatte mir die Penis-Manschette übergezogen, und die Nägel stachen ins Fleisch.« Eine Woche darauf tauschte das Folterpärchen die Rollen, jetzt wurde die Frau ans Folterkreuz geschnallt und ähnlich gepeinigt. Was darüber hinausgeht, wird von vielen Szenegängern
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