Sex und Folter in der Kirche
abgelehnt, zum Beispiel Kliniksex (Einführen von Klistieren und Kathetern, Zunähen von Körperöffnungen bei vollem Bewußtsein). Auch die Praxis Hartgesottener, Körperteile mit Nadeln oder Ringen zu durchstechen sowie mit Aus-scheidungen (Urin, Kot) zu hantieren, ist nicht jedermanns und jederfrau Sache.
Eine große Rolle spielen dagegen Kollektivveranstaltungen, die vom beschaulichen Folterabend im kleinen Kreis bis zum SM-Ball mit hundert Teilnehmern reichen. Kommerzielle Agenturen ver-mieten die notwendigen Räume und sorgen auch für Übernachtung mit Frühstück. Beliebt sind ferner theatralische Rollenspiele: Schul-stunden mit einem strengen Lehrer, Sklavenversteigerungen, die Passion Jesu. In aller Regel findet kein Koitus statt, doch werden öfters anale und orale Vergewaltigungen durchgeführt. Eine Sonderwelt? Rituale eines fremdartigen Volksstamms? Oder Prakti-
ken, die die sorgsam verborgenen Wünsche einer Vielzahl von
Menschen nach Folter und Gewalt stellvertretend vorausnehmen
und erfüllen? Die Arbeitsgemeinschaft S/M & Öffentlichkeit läßt in einem Leserbrief103 an das Magazin bestellen, der Satz »S/M ist kein Spiel mit Gewalt — es ist Gewalt pur« sei hanebüchener Unfug.
Denn S/M sei »die bewußte Inszenierung von vertrauensvoller Auslieferung, von Macht und Unterwerfung«. Der Vergleich mit realer Folter soll ebenso irreführend wie perfide sein: »Bei S/M geht es eben nicht darum, Menschen zu zerstören, sondern allen Beteiligten Lust zu verschaffen oder Liebe auszudrücken.« Im übrigen gehe es auch nicht um Vergewaltigung, sondern »höchstens um ein ver-nehmliche Inszenierung von Vergewaltigungsphantasien, die (aktiv oder passiv) bekanntlich ziemlich viele Menschen haben«. Wenn's 40
denn so ist: Welcher Mann möchte nicht wenigstens mal zu-
schauen? Oder Vergewaltigungsphantasien mitinszenieren? Diese Art von gleichzeitiger Gewalt und Liebe erproben?
Zum Schluß ein Blick in die Bildwelten unserer nach wie vor
grausamen, das heißt folterwilligen Kultur: 1991 erschien Ameri-can Psycho von Bret Easton Ellis auf deutsch. Der in Ich-Form erzählende Autor gibt präzise, ungerührt, ausgeprägt sadistisch eine Vielzahl von Verbrechen wieder. Er scheint von dem Wunsch bestimmt, um jeden Preis zu schockieren und jedes Tabu zu brechen.104 Der erste Satz des Buches greift die Inschrift des Höllento-res bei Dante auf: »Ihr, die ihr eintretet, laßt alle Hoffnung fahren!«
Diese Hölle ist längst diesseitig. Das vierzehnte Freiburger Theater-festival erläuterte 1991 sein Motto »Wer hat Lust auf Hölle?« mit dem Hinweis auf das »gerade heute (im Kino etwa) zu beobachtende große Bedürfnis nach starken Reizen, die eigentümliche Faszination des Gefährlichen, Schmerzhaften, Destruktiven, ja Teufli-schen, des Grauens und der Gewalt«105.
Eine stärker denn je reizüberflutete Gesellschaft — unsere! — ist noch nicht satt. Sie verlangt nach immer neuen und stärkeren
Reizen, und die Faszination der Gewalt beweist sich gerade dort, wo Menschen ihrer gesicherten und daher langweilig gewordenen Existenzweise überdrüssig werden. Vielleicht ist nichts entsetzlicher am heutigen Menschen, als daß er sich nicht mehr entsetzt.106
Und während mehr und mehr über die Gewalt im Fernsehen und
deren Einfluß auf Kinder und Jugendliche geklagt wird, erhält der von Kritik und Publikum hochgelobte Film Das Schweigen der Lämmer in schöner Gleichzeitigkeit fünf Oscars für seine Blutor-gien - und seine Botschaft »Sex bringt den Tod«.107 Hollywood klatscht beim Festakt. Und wir? Sahen wir nie solche Filme - und empfahlen ihre Spannungsfolter weiter?
Selbstschutz der Illusionen
Weshalb sind es stets die anderen? Illusionen sind notwendig für uns Menschen, und Passivität erfüllt eine Schutzfunktion. Menschen müssen oberflächlich sein; sie haben den Überlebensinstinkt, flüchtig, leicht und falsch zu sein.108 Doch ob uns derlei rettet? Die Heuchelei unterschiedlichsten Gepräges und Gewichts etwa, die 41
sich auf alles und jedes erstreckt?
• Eine Unaufrichtigkeit beispielsweise, die sentimental Kälbchen streichelt und den Angler mutig beschimpft - und dann Kalbsfi-let ißt und Forelle blau?
• Die stumme Infamie des Kinderfreundes, der die Liebe zu den eigenen Kindern beredet, doch beim Gespräch über den Zaun die Mißhandlungen im Haus nebenan noch nie ansprach?
• Die Heimtücke der Pädagogik109, die sich ein Heer von Experten, Ratgebern und Therapeuten
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