Sex und Folter in der Kirche
verfolgt. Heuchelei, das angebliche Wiederaufleben nur bei den jeweils anderen auszumachen. Es handelt sich nicht um eine Frage des Glaubens an den moralischen Fortschritt der Menschheit und um eine Art Enttäuschung über dessen Brüchigkeit.6 Wann je hätte moralischer Eifer Gesetze geschaffen und dauerhaft durchgesetzt?
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Stahl bleibt rostig. Gerade Patriarchen, und nur Patriarchen, brauchen ihn. Auch die Folter wird notwendigerweise wie der Krieg legitimiert, weil ihr Wegfall — so eine Verteidigungsschrift von 1780 — eine große Gefahr »für Regierung, Moral und Religion« mit sich brächte.7 Der Autor des Traktats, Pierre Francois Muyart de Vouglans, Mitglied des Grand Conseil von Frankreich, versuchte zwar nur, die einflußreiche Schrift Dei delitti e delle pene (Über Verbrechen und Strafen) des Cesare Beccaria von 1764 zu widerlegen. Doch seine Argumentation fiel zeitlos aus. Wer, wenn nicht Regierung, Moral und Religion, sollte je von der Folter profitiert haben? Wer sonst könnte ein — theoretisch heftig bestrittenes —
weiterbestehendes praktisches Interesse an einer Herrschaft von Menschen über Körper und Geist anderer Menschen haben?
Zeitgenössische Historiker fragen sich,8 mit dem sogenannten
Wiederaufleben der Folter konfrontiert, ob dieses schreckliche Phä-
nomen nicht als Ergebnis neuer Religionen gedeutet werden muß, als Spezialität jener autoritären und totalitären Staaten, die die uneingeschränkte Loyalität ihrer Bevölkerung fordern. Doch gerade die totale Unterwerfung weist erbärmliche Bezüge zu der
geistigen Disziplin auf, die die Kirche - keineswegs nur in Mittelalter und früher Neuzeit, wie Apologeten beschwichtigen — von ihren Gläubigen verlangte. Parallelen finden sich nicht allein, was die wahren Gläubigen und deren Gehorsam betrifft. Auch die Behandlung der jeweils anderen, kurz, der ungehorsamen, reuelosen Op-positionellen unterscheidet sich in religiösen und quasireligiösen Systemen von damals und heute nicht wesentlich.
Ein Erlaß Heinrich Himmlers vom Juni 1942 ermächtigte zur Folter.
Um dem Dekret einen Anschein gesetzlicher Form zu geben,
wurde der Personenkreis umschrieben, gegen den »der dritte Grad«
angewandt werden konnte und mußte. Wiederum findet sich die
uralte Definition der anderen, der Ehrlosen, der als zweitrangig betrachteten und damit folterwürdigen Menschen. Wiederum werden die hergebrachten und in Theorie wie Praxis der christlichen Kirche jahrhundertelang erprobten Standards der Abwertung von Menschen verwandt: Bei Himmler sind es »Kommunisten, Marxi-sten, Zeugen Jehovas, Saboteure, Terroristen, Angehörige von
Widerstandsbewegungen, asoziale Elemente, widersetzliche Ele-
mente, polnische und russische Vagabunden«9. Erlasse der Kirche hatten Ketzer, Heiden, Juden, Hexen, Abgefallene, Feinde der Kir-47
che und des Papstes angesprochen und zur Folterung freigegeben.
Es dürfte schwerfallen, grundsätzliche Unterschiede in Begründung und Durchführung solcher Dekrete auszumachen.
Offenbar bemerkten die Nationalsozialisten die auffälligen Parallelen. Anläßlich eines Empfangs im Jahre 1933 sagte Adolf Hitler zu Wilhelm Berning, dem Preußischen Staatsrat und Bischof von Osnabrück: »Die katholische Kirche hat fünfzehnhundert Jahre
lang die Juden als Schädlinge angesehen, sie ins Ghetto gewiesen usw., da hat man erkannt, was die Juden sind...« Und: »Ich gehe zurück auf die Zeit, was man fünfzehnhundert Jahre lang getan hat.«10 Berning, der seine Briefe »Mit deutschem Gruß und Hitler Heil!« unterschrieb, widersprach nicht, nannte das Gespräch herz-lich und sachlich.
Stahl? Ein maskulines (bearbeitetes) Metall, kein Neutrum wie Erz, Silber, Gold. Bestimmte Assoziationen drängen sich auf:
Mord, Folter, Gewalt — und glatt-grausame Kühle. Das Verb stählen (sich wappnen, bewaffnen, steifen, härten, festigen)11 paßt; auch das Adjektiv stählern (eisern, ehern, ungebeugt, mannhaft, herzlos, eisig, nicht zu erweichen, scharf)12 liegt nicht fern.
Der US-Film Alien 3 von David Fincher, Teil eines amerikanischen Triptychons, weist 1992 in die Science-fiction einer Hölle, in der lauter Gläubige13 wohnen. Sie ist ein düsterer, von Läusen verseuchter Planet, einst eine Strafkolonie für Schwerverbrecher.
Als die Kolonie aufgelöst wurde, blieben zwei Dutzend Gefangene freiwillig zurück. Sie hatten zu einer obskuren Religion gefunden, und der Planet wurde zu ihrem Kloster; die Hölle blieb er. Hier ist
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