Sex und Folter in der Kirche
die Welt zu Ende, alle Überreste technischer Zivilisation sind zerfal-len, und auch die Menschen sind am Ende, kriminell, feindselig, böse. Jedes Individuum ist Teil und Träger der Zerstörung. Die Perspektive der Menschen bleibt hoffnungslos, die Selbstzerstö-
rung ist unaufhaltsam, keine Religion bietet Erlösung. Der Film spielt in der Zukunft, doch glaubt er nicht an sie. Seine Zukunft sieht aus, wie wir uns das Mittelalter vorstellen: Grüfte, Kerker, Verliese, hallende Gewölbe. Und sie wird von Gesetzen beherrscht, die wir zum Teil als mittelalterlich eingestuft und abgelegt haben: vom Glauben an einen furchtbar richtenden Gott und seine Hölle, von Qual und Sehnsucht.
Vielleicht hilft die Vision ein wenig mit, jene Christen aus ihrer Kuscheleckenmentalität herauszulocken, die nach wie vor sich und 48
ihren Glauben in eine heile Welt versetzt sehen, als seien weder zutiefst gewalttätige Jahrhunderte der abendländischen Hauptreli-gion nachgewiesen noch folternde Christen auch gegenwärtig am Werk. Der unhistorische Anspruch von Christen auf ein fromm-seliges Dasein auf der Insel im tobenden Weltmeer (und auf eine grundsätzlich gerettete Zukunft) wird zu einem Anspruch an Christen umgewandelt, sich der eigenen Position bewußt zu werden.
Bestimmt nicht - ein leider unumgänglicher Hinweis - plane ich einen Beitrag zur sogenannten Enthüllungsliteratur über dieses oder jenes Christentum, wie immer wieder von interessierter Seite argumentiert wird, um sich selbstgerecht, pflichtvergessen aus der Verantwortung zu stehlen. Blut wird nicht »enthüllt«, ihr Theologen! Es handelt sich, bei einem so entsetzlichen Thema wie dem der Folter, nicht darum, einen simplifiziert Schwarzen Peter an die Kirchen weiterzureichen. Schadenfreude wäre das schlimmste
Empfinden, ein Vergehen auch an den Opfern. Über Folter zu
schreiben ist nicht amüsant, von ihr zu erfahren kein Vergnügen.
Oft fühlte ich Ohnmacht, blieb geängstigt. Dabei steckte ich selbst nicht in den Folterkammern, sondern las und schrieb nur nach, was andere erlitten. Ich nehme an, daß es Leserinnen ähnlich ergehen wird: Angst, Ohnmacht.
Doch was nicht länger unter den Teppich gekehrt werden darf,
muß offengelegt sein. Da sich innerhalb der Kirchen so gut wie keine Stimmen zum Thema finden, ist dies doppelt nötig. Anders
gelingt es den Christen kaum, endlich mit zu jener humanen Kultur zu finden, die sich als anamnetisch (erinnerungswillig) bezeugt und nicht zum allgemein anempfohlenen Vergessen, Verdrängen, Verzeihen bereit ist. Wer erinnert, wenn nicht der Schriftsteller? Dies ist sein Beruf, seine soziale Leistung. Erinnern ist aber nicht Enthüllen.
Der Erinnernde erlaubt sich nicht den Gestus des Voyeurs. Mitten im Milieu der eingegrenzten Erinnerungen, da die Großtaten Gottes und der Kirche pflichtgemäß honoriert werden, arbeitet der Autor an einer Gegenkultur. Er weitet den Blick ins Abendland, bietet unpäßlich machende Perspektiven auf das christliche Europa, demaskiert die Lobhudeleien der Liebesreligion.
Keine geringe Frage an die deutsche Streitkultur: Stört einer den Religionsfrieden, der mörderisch effektive Obsession, kaschierten Heilsegoismus bloßlegt? Der den Verfolgten, Verscharrten, Verges-senen eine Stimme leiht, Solidarität herstellt zwischen den Opfern 49
und denen, die durch ihn von jenen erfahren? Gegenüber denen, die zu viele Choräle im Mund haben und in Kopf wie Herz zuwenig
Memento, ist dies Pflicht. Die hohe Zeit der Weißwäscher ist vorbei. Prediger und ihre Helfershelfer aus der Historikerzunft dürfen nicht länger auf ihre Rache-Gottheit Vergessen setzen. Millionen Menschen verlangen nach Gerechtigkeit. Die unzähligen Blut- und Denkopfer, deren sich Christen bedienten, um Gottes Großreich zu fördern, brauchen unser Zeugnis. Tod darf kein Endurteil sein, Namenlosigkeit nicht über Betrogene triumphieren. Geschädigte bitten um Auferstehung im Gedächtnis.14
Es könnte weder den Betroffenen noch anderen Menschen scha-
den, wenn in diesem notwendigerweise bruchstückhaften15 Ver-
such die zutiefst beunruhigende Wirklichkeit einer Religion angesprochen wird: ihre Anfälligkeit für Barbarei, ihre Mitverantwortung für Folter und weitere Verbrechen und auch die strukturelle Hilflosigkeit des Christentums im Widerstand gegen die Ideologien und Handlungsmuster der Grausamkeit.
Die Anfälligkeit geweihten Stahls für den Rost
Artikel l der Erklärung der Generalversammlung der
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