Sex und Folter in der Kirche
einwandfrei war. Änderte sich im Lauf der Jahrhunderte überhaupt etwas in der Kirche, dann waren es die objektiven Kriterien; sie blieben durchweg dem Zeitinteresse der Hirten unterworfen.
Was lebendige Menschen, Millionen Frauen unter ihnen, mit
einem päpstlichen Sonderinteresse, Sittengesetz genannt, anfangen sollen, ist unbegreiflich. Eine »Proletarierfrau zur Brutmaschine zu machen, ist eine Roheit — da brauchen wir gar nicht erst den lieben Gott zu bemühen«, sagt Tucholsky.93 Das Christentum verändert das Fleisch nicht. Es kann dieses nur verformen, ihm möglichst viel Leid und möglichst wenig Vergnügen gönnen, es ertöten und ihm die Ketten der Sünden anhängen,94 damit die Menschen sich um
Erlösung mühen. Die kommt stets von denen, die die Sünde aus-
machten. Erlösung und Sünde sind Symptome ein und derselben
Krankheit; beide foltern das lebendige Gewissen zu Tode.
Die nachkonziliaren Erneuerungen, auf die Katholiken so stolz sind, erscheinen als lächerliche Kosmetik. Nach wie vor beanspruchen Kirche und Papst das Monopol des rechten Glaubens und der guten Sitten; ihren sakramentalen Service bieten sie als optimale Bedingung für das Heil an. Doch die schauerlich besitzergreifende Egozentrizität der Mutter Kirche verdirbt fast unausweichlich den Charakter derer, die sich ihr als Kinder anvertrauen. Solche Menschen laufen Gefahr, nicht nur unmündig, süchtig bezogen auf die Gnadenmittel, abhängig von diesen zu bleiben, sondern auch in ihrer Beziehungs- und Genußfähigkeit verkrüppelt zu werden.95
Der für einen schändlich fundamentalistischen Katechismus verantwortliche Papst verpflichtet die Seinen nicht nur dem Aberglauben, wie Eugen Drewermann anmerkt: Immerhin gilt Wojtyla die
leibliche Auferstehung Jesu als physikalisches, die Jungfrauengeburt als gynäkologisches Ereignis.96 Und nicht nur der Unglaube wird kirchenoffiziell gefördert, indem behauptet wird, Gott habe in den Wunderberichten »Jesu« in den Naturverlauf eingegriffen, während derselbe Gott, der alles kann, aber nichts tut, angesichts 67
des unendlichen Leids der Menschen stumm bleibt. Er hätte genug zu tun: 1994 werden nach Einschätzung der UNO-Welternäh-rungsorganisation (FAO) weltweit etwa 790 Millionen Menschen
unterernährt bleiben, darunter fast 200 Millionen Kinder.97
Waren denn die mit fünftausend Broten gespeisten Menschen
(Mt 14,15 ff.), die nach einem mit Jesus verbrachten Tag Hunger bekommen hatten, soviel wichtiger als Millionen an Hunger sterbende Kinder in der Dritten Welt? Könnte ein wunderlieber Gott nicht auch mal außerhalb der Bibel brotschaffende Allmacht beweisen?98 Die Herzen der Satten bewegen? Mitsorgen, daß die für alle vorhandenen Lebensmittel endlich gerecht verteilt werden? Menschen werden ja noch fragen dürfen, bevor amtliche Theologie sich überschlägt — und keine Antwort beibringt.
Doch ein Aberglauben und Unglauben zugleich fördernder Papst
verpflichtet wie selbstverständlich auch auf eine Aber- und Unmoral. Kein Mensch kann die päpstliche Norm erfüllen. Doch das ist gewollt: Nur Sünderinnen bleiben gehorsam, warten auf jene, die ihnen Erlösung predigen. Was aber ist von starren Normen, Regeln, Verboten, Kriterien, Objektivitäten zu halten, die von vornherein inhuman sind, weil sie jeden Menschen überfordern, statt ihm zu helfen, ihn von seinen - auch sexuellen - Ängsten und Nöten zu befreien? Sind die biblischen oder kirchenväterlichen Lasterkata-loge, die ein paar tausend Jahre auf dem Buckel haben, wirklich das letzte Wort an die Welt? Hülfe nicht die geringste Differenzierung im Sündenschema weiter, das diskussionswürdige Argument anstelle der autoritär vorgetragenen Norm? Beispielsweise in Fragen Schwangerschaftsabbruch, dessen absolutes Verbot im Gegensatz zu den Aussagen über den Mord keine Ausnahme kennt und »unabhängig von den weiteren Absichten der Handelnden und von den Umständen« gelten soll?
Grundsätzlich: Wir sehen, wie schon Schopenhauer, die Religion
»in ihren Todesnöten sich an die Moral anklammern, für deren
Mutter sie sich ausgeben möchte: — aber mitnichten! Echte Moral und Moralität ist von keiner Religion abhängig...«" Das Papst-amt freilich dient bis zum Beweis des Gegenteils wie eh und je dazu, mit Hilfe von unnachvollziehbar jenseitigen Strafen und Folterqua-len Angst zu erzeugen und zu befestigen. Der drohende Anspruch einer unfehlbaren Wahrheit weckt Schuldgefühle und hält sie wach.
Eigenes,
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