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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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Erklärungsversuchen. Was sie nicht sehen will: Wahre Christen hatten heilsnotwendigerweise Angst zu haben.104 Es stand ihnen nicht frei, ihre Psyche beim Psychotherapeuten um die Ecke befreien zu lassen. Ihr Gott wollte diese Angst. Das bezeugen die Jahrhunderte der Christengeschichte 70
    mit Unsummen von appellativen Schriften, mit apokryphen Evan-
    gelien, gelehrten Traktaten, visionären Dichtungen. Und erst die vielen Bilder, die dem Abendland die Architekturen der Hölle und die mannigfachen Möglichkeiten der Teufelhorden anschaulich
    machten! Die Künstler, Hieronymus Bosch105 voran, zeigen Real-phantasien, wie sie in allen Köpfen und Herzen lebten, und keine unsinnlich bleibenden Bildchen, die sich dem heutigen Betrachter gleichsam gefahrlos darböten. Auch von daher gesehen ist die
    Theologie von heute allein zu schwach, jahrhundertealte und nicht selten noch immer lebendige Christenängste aufzuarbeiten. Wird von der Hölle gehandelt, bedarf es der Beiträge mehrerer moderner Wissenschaften, die ein Gesamtbild von der mit Grauen durchsetzten Existenz des normalen Christenmenschen erarbeiten.106
    Auch die schrecklichen Folgerungen darzustellen und zu bewer-
    ten, die so häufig aus dieser normalen Existenz gezogen wurden, sind Theologen allein nicht in der Lage. Die gegenwärtige Theologie ist, gerade wenn sie sich für progressiv hält, zu sehr dem Regelkreis des Christlichen verhaftet, als daß sie sich dazu verstünde, die tatsächliche Angst von Christen und die daraus folgende Aggression gegen andere Menschen zu erörtern. Sie hat sich keineswegs von ihren Rücksichten auf Glauben, Kirche, Christentum befreit.
    Sie lebt von Absichten, nicht von Einsichten.
    Kein Zufall, daß christenmenschliche Grausamkeit sich so oft
    auf die Geschlechtsteile des meist nackten Opfers konzentrierte, Schamhaare inspizierte und ausriß, mit Vorliebe Genitalien folterte, Brüste zwickte und versengte, Scheiden weitete und zerriß. Im Alten Testament stoßen wir auf Anspielungen, die die Zerstörung der Genitalien betreffen,107 und fast immer weisen die zahlreichen Schindereien, mit denen Christen später aufwarteten, eine ausgeprägt sexuelle, sadistische Komponente auf.108 Sünderinnen sollten vorzugsweise an den Körperstellen bestraft werden, an denen ihre Missetat festgemacht wurde. Da die meisten Vergehen mit dem
    Unterleib verbunden schienen, ließen sich allerlei Möglichkeiten zu einschneidendster, schmerzvollster, wirksamster Bestrafung finden. Im vierzehnten Jahrhundert wurden die Brüder d'Aunay, denen man vorwarf, die beiden hübschen Töchter Philipps IV. ver-führt und mit ihnen selbst an den höchsten Festen der Christenheit gesündigt zu haben, erst lebendig gehäutet, dann sorgfältig kastriert und schließlich geköpft.109 Als sündig definierte Menschen 71
    wurden auch der Länge nach zersägt; begann diese Tortur unten statt oben, fanden sich die Stellen um so schneller, auf die es ankam.
    Auch die langsame Zerstückelung eines Menschen konnte sexuel-
    len Charakter annehmen; wurden Brüste amputiert oder Hoden
    zerquetscht, lag dies ohnehin nahe.
    Ist eine Frau ohne Brüste noch eine Frau? Im patriarchalen
    Denken und Fühlen bestimmt ebensowenig, wie ein kastrierter
    Mann noch als richtiger Mann gilt. Nicht zufällig machen Patriarchen die wichtigen Stellen einer Frau noch immer dort aus, wo Ober- und Unterteil eines Bikinis sie verdecken. Brust und Schoß, der eigentliche Mehrbesitz der Frauen,110 sollen bewußt von den minderbesitzenden Männern beherrscht werden: Sie werden daher herabdefiniert und schließlich einer typisch patriarchalen Scham unterworfen.111 Der Begriff wird noch immer einschlägig verwendet. Auch die bewußte Verstümmelung der Brüste in der christlichen Folter war durch patriarchale Anschauung bedingt: Stellen, an denen die Versuchung ausgemacht werden konnte und von
    denen sie für viele ausging, mußten öffentlich, anschaulich, exemplarisch vernichtet werden. Die betroffenen Frauen waren nicht nur durch gräßlichste Wunden gezeichnet, sondern sahen sich »an dem Schönsten ihrer Erscheinung bestraft«112. Sie hatten durch ihre Brüste entweder gesündigt oder doch die Eifersucht und Lüsternheit der Umwelt erregt. Das verlangte nach der Strafe der Patriarchen: Weg damit, und unsere Welt ist wieder besser, wieder rein!
    Schon hier verweise ich auf Bilder, die nicht selten den Malern und Zeichnern ebensoviel Lust verschafft haben mochten wie den Betrachtern jener Zeit. Die

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