Sex und Folter in der Kirche
Meerschweinchen; die Polizei fand gegen fünftausend Tiere vor, die in Käfigen darauf warteten, nächstens Gott und der Jungfrau geopfert zu werden. Bernadette aber wurde auf einen Stuhl gebunden, geschlagen, gewürgt, mit glühenden Eisen gebrannt. Andere Wider-spenstige mußten sich den gleichen sadistischen Praktiken unterzie-hen.67
Die Jüngerinnen wissen: Maria, ob die von Fatima oder eine
andere, hat in jüngster Gegenwart einmal mehr gesiegt, und Rußland ist drauf und dran, sich zu bekehren.68 Theologisch rabiate
Bewegungen haben daher allen Grund, Wohl und Wehe der
Menschheit in wüsten Höllenvisionen davon abhängig zu machen, ob die Welt und ihre einzelnen Regionen Maria geweiht werden.69
Diesbezügliche Anweisungen entlehnt man den offenbar fortlau-
fend ergehenden Blut- und Opfervisionen70 begnadeter Zeitgenos-61
sen, und der mörderische Krieg in Bosnien wird darauf zurückge-führt, daß die zuständigen Bischöfe der Region »ihr Land bisher nicht dem Unbefleckten Herzen Mariens geweiht«71 haben.
Ein verdammtes Stückchen Fleisch
»Feinde des Menschengeschlechts, Feinde untereinander und gegen sich selber, verhindert, die Annehmlichkeiten der Gesellschaft ken-nenzulernen, mußten sie diese wohl hassen«, so charakterisiert Voltaire72 eine gewisse Art Christen. »Beredt preisen sie einander eine Härte, unter der jeder von ihnen seufzt und die jeder von ihnen fürchtet: Jeder Mönch schwingt die Kette, zu der er sich verurteilt hat, und schlägt damit seinen Mitbruder, wie er seinerseits damit geschlagen wird. Unglücklich in ihren Schlupfwinkeln, wollen sie auch die anderen Menschen unglücklich machen. Ihre Klöster bergen Reue, Zwietracht und Haß.«
Vor allem eine bestimmte religiöse Überlieferung brauchte ihre Fortsetzung: Ließen sich mit den Morallehren der Kirche zum
klerikalen Hauptthema »Sexualität« Ersatzphantasien verknüpfen und wurde das natürliche Verlangen nach Sexualität auf »legitime«
Felder umgeleitet sowie die hausgemachte Verklemmung auf Fol-
terphantasien abgeleitet, waren Tür und Tor für spezifisch christliche Sadisten wie Masochisten geöffnet. »Sie begraben in den unter-irdischen Gefängnissen«, fährt Voltaire fort, »lebenslänglich diejenigen ihrer Brüder, die sie anschuldigen können. Zuletzt haben sie auch noch die Inquisition erfunden.«
Entwicklung und Folgen der Verbindung von Sexualität und
Haß sind nicht zu unterschätzen. Obwohl das Christentum als
weltbewegend geistige Kraft heute am Rande des Bankrotts steht, prägen seine Normen und Zensurmechanismen noch immer die gängige Sexualmoral. Das bedeutet, daß unser Geschlechtsleben
beinahe noch immer so kontrolliert wird und beschränkt bleibt, wie Augustinus und Luther das gern sahen, also wie im fünften oder fünfzehnten Jahrhundert.73 Noch mehr: Es ist abendländische Realität, wenn Strafkodizes und Gerichtsurteile von dem mitbestimmt sind, was altorientalische Ziegenhirten vor ein paar tausend Jahren über Sexuelles dachten oder fühlten und Jünger schließlich niederschrieben. Viel weiter, über die im Christentum übliche Triebunter-62
drückung hinaus, gelangten wir nicht. Die Sexualfeindlichkeit längst verblichener Kirchenlehrer steckt ziemlich tief im »sittlichen Empfinden« und in der »sittlichen Grundordnung«, wie sie höchste Gerichte verkünden. So bezogsich das Bundesverfassungsgericht74
im Urteil zur Verfassungsgemäßheit des § 175 StGB (homosexuelle Handlungen) nicht nur auf die Foltergerichtsbarkeit der Constitu-tio Criminalis Carolina von 1532, sondern auch auf Texte des
Alten Testaments (3 Mose 18,22 und 20,13)! Und Sexualpädago-
gik an Schulen ist nicht nur in der Bundesrepublik aus christlich guten Gründen75 Mangelware; der polnische Kardinal Glemp ver-teufelte 1993 ihre Inhalte als zweifelhafte Errungenschaften von Sexualtechnikern.76
Die Resultate der jahrhundertealten kirchlichen Sexualdebatte gelten einem Kirchenfürsten dagegen gewiß als menschenwürdig.
Sprachen die größten Heiligen der Kirche nicht deutlich? Sollen wir, wie Franz von Assisi, den Leib mit seinen Lastern und Sünden nicht hassen, weil er fleischlich leben will? Muß uns nicht, wie den Ignatius von Loyola, die Erde anekeln, weil wir den Himmel lieben?77 Müßten wir nicht quälen, geißeln, abtöten, wie dies Hunderttausende von Christinnen taten? Wäre es nicht christlich, wie ein Theologe modisch gekleidete Frauen als »eingewickelten
Kot«78 zu bezeichnen? Wäre nicht
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