Sex und Folter in der Kirche
»diesen Weibern auf die entblöß-
ten Brüste zu scheißen«79, eine Methode, die ein empörter Prediger anregte? Oder wären die versucherischen Körperteile nicht gleich zu foltern, mit glühenden Zangen abzuzwicken, die Wunden auszu-brennen? Wie lange von Christen geübt?
Ist nicht auch Papst Wojtyla bekannt für die unmißverständliche Sprache, in die er verfällt, sobald er sein Thema anschneidet?
Verbot er nicht rings auf dem Erdkreis alles, was vielen seiner Vorgänger Spaß machte? Doch die Strafpredigt reicht den
Erwähltesten noch immer nicht. 1993 rechnet ein aufgeregtes
Blättchen diesem Papst schwere Schamverstöße vor: Immerhin
verfolgte Johannes Paul II. 1980 in Rom die Gymnastikübung
leichtgeschürzter Sportlerinnen, schaute 1984 dem Tanz von
zwölfhundert knapp bekleideten Mädchen zu, ließ im gleichen
Jahr in Neuguinea eine Studentin als Lektorin zur Papstmesse zu, die nur einen Lendenschurz trug, blickte am nächsten Tag auf den Salomoninseln lächelnd auf eine Gruppe von Bauchtänzerinnen
und faßte schließlich im November 1986 in Sydney, angetan mit 63
heiligen Gewändern, zwei junge Mädchen an den Händen, um
sich mit diesen rhythmisch zur Popmusik zu wiegen.81
Sexualneurose gewiß, offensichtlich. Doch ist diese nicht bloß individuell. Sie wirkt öffentlich, ist kirchenamtlich. Und sie verdrängt, politisch ausgesprochen effektiv, die eigentlichen Werte, um deren Wahrung unter Christen sich eine Kirche sorgen müßte.
Sex ist spannend, sagen sich offenbar die Kleriker, mit den einschlägigen Verboten lassen sich noch immer Millionen gängeln.
Was macht es da aus, wenn andere Gebote nachlässiger gehand-
habt werden? Kurt Tucholsky: »Wenn eine Tänzerin gut gewach-
sen ist / Und einen Venus-Körper hat, der nicht aus Sachsen ist; /
Und wenn sie tanzt, daß nur der Rhythmus so knackt, / Und wenn sie ein ganzes Theater bei allen Sinnen packt; / Und wenn das Leben bunt ist hierzulande —: / Das ist eine Schande. / Wenn aber Christus, der gesagt hat: ›Du sollst nicht töten!‹, / An seinem Kreuz sehen muß, wie sich die Felder blutig röten; / Wenn die Pfaffen Kanonen und Flugzeuge segnen / Und in den Feldgottes-diensten beten, daß es Blut möge regnen; / Und wenn die Vertreter Gottes auf Erden / Soldaten-Hämmel treiben, auf daß sie geschlachtet werden; / Und wenn die Glocken läuten: ›Mord!‹ und die Choräle hallen: / ›Mord! Ihr sollt eure Feinde niederknallen!‹ /
Und wenn jemand so verrät den Gottessohn —: / Das ist keine
Schande. / Das ist Religion.«82
Überhaupt kein Christ ist er selbst, sofern er wirklich Christ ist.
Keine Christin lebt, wie allein sie will. Auch keine Schande, sondern Religion. Was das Christentum Gutes auf Erden bewirkte,
wird tausendfach durch das Schlimme überboten, das seine Prediger mit der Vergiftung des Sexus anrichteten.83 Denn Christen leben
im Grunde immer gegen sich. Ihre Sinne sind nicht ungebrochen, elementar, originär, natürlich. Alles, was sie wollen, dürfen sie nicht, und alles, was sie sollen, widerspricht ihrer Natur.84 Sie müssen, Nuancen hin oder her, neurotisch sein, wenn sie (sexuell) leben wollen. Kein Ausflug in das Mittelalter, sondern katholische Wirklichkeit: Der vom Papst als Ereignis gepriesene Weltkatechismus ist in bezug auf die Sexualitäten der Menschen von seiner Wahrheit überzeugt. Er wurde von Johannes Paul II. als sichere Norm der Glaubens- und Sittenlehre eingeführt. Auf die haarsträubend unhistorischen Behauptungen des Werks gehe ich nicht ein; die Kirchen- und Papstgeschichte selbst entlarvt alle Passagen als 64
unwahr, in denen der Papst von »immer« und »niemals« sprechen läßt. Ich beschränke mich auf die Moral. Ihre zutiefst fundamentalistische Gesinnung, die autoritäre Wahrheiten aneinanderreiht, statt hilfreich vernünftige Argumentationen vorzutragen, soll allen Ernstes für Menschen unserer Zeit verbindlich sein.
Beispiel Masturbation: »Tatsache ist, daß sowohl das kirchliche Lehramt als auch das sittliche Empfinden der Gläubigen niemals gezögert haben, die Masturbation als eine in sich schwere ord-nungswidrige Handlung zu brandmarken.«85 Die nach wie vor
ungeniert aggressive Wortwahl der römischen Bürokratie in Sachen Sexualität fällt sofort auf, ebenso die der amtlichen Übersetzung ins Deutsche: schwere Ordnungswidrigkeit, Brandmarke.
Beachtenswert, keine Bagatelle: Gab es in der Geschichte des
Christentums keinen Zusammenhang zwischen dem
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