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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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das Himmlische das Irdische. Zugleich mit diesem Über-zweckhaften wird die geistige Helle, die Rationalität... des Menschen voll entfaltet.«140
    Proben aufs Exempel geistiger Helle geben nicht allein die Diskussionen mit Männern über so simple Angelegenheiten wie ihr
    Verhältnis zu Frauen ab, sondern auch die Verlautbarungen, die von Kanzeln ergehen. Ließen sich aus der Kultur- und Religionsgeschichte der Mannheit alle Anteile abziehen, die mit Sexualität und deren Normierung, Vergesetzlichung, Idealisierung, Ersatzleistung zu tun haben, bliebe nur ein kümmerlicher Rest übrig.
    Georges Bataille spricht von einer »Verbindung der religiösen Ekstase mit der Erotik, und im besonderen mit dem Sadismus«141.
    Er befaßt sich in seinen Tränen des Eros mit solchen Zusammenhängen zwischen dem Eros und einem durch die Religion vermittelten Sadismus. Es spricht viel dafür, daß die ritualisierte Grausamkeit des religiösen Opfers und Opfermahles wesentlicher Bestandteil der christlichen Religion ist. Die Tradition ebendieses Opfers weist jedenfalls auf die Identität vollkommener Gegensätze hin: auf die »der göttlichen Ekstase und des äußersten Grauens«142. Das Grauenerregende und das Religiöse werden eins.
    Das vertraute Muster der abendländisch-christlichen Erotik: die übertriebene Vorstellung des weiblichen Körpers als des Sexual-objektes schlechthin, eine Sexualität, die ausschließlich als eine vom Weib ausgehende Gefahr gilt, die Deutung der fraulichen
    Formen als in sich gefährlich, anstößig, herausfordernd, lockend, verwerflich, die grundsätzliche Gewaltbereitschaft auf sexuellem Gebiet. Und so sind »99,6 Prozent der Frauen, die schwarze Unterwäsche tragen, heimliche Huren«143.
    Staatsreligionen bleiben bewußt puritanisch.144 Sie setzen auf das Schamgefühl, das sie sich erfinden ließen, verschleiern für gewöhnlich die sexuelle Erregung, mißachten geschlechtliche Lust, handeln auffällig oft von Sublimierung um irgendwelcher höheren Ziele willen. Welche dies sind, läßt sich generell beantworten: die der einschlägigen Religion. Die Sündenprediger sind berechenbar: Sie sehen immer auf das eigene Interesse.
    Sich befreiende Sexualität wird, um Hörende hörig zu machen,
    mit Sünde gleichgesetzt, und diese soll Leiden und Strafe nach 80
    sich ziehen. Die meisten Menschen — und alle Christinnen und
    Christen! — wurden ein Leben lang bestraft. Sie mußten Sünde, Strafe, Repression akzeptieren, wurden dazu genötigt, Sinnlichkeit durch Sittlichkeit, Sexualität durch Opfer-Gewalt zu ersetzen. Die alten Herrschaftsregeln gelten noch so lange, wie die alten Rollen funktionieren. Bei der Inspektion einer Hirten- und Herrenkultur, die Millionen Opfer auf sich lud, ist daher die Geschichte des Wegblickens abzubrechen, das genaue Hinschauen zu lehren, die Verpflichtung des Christentums auf Humanität anzumahnen. Sollen wir unsere Erkenntnisse irgendeiner Mönchsdemut opfern, über Fakten feilschen, über die Wertung von Kapitalverbrechen mit uns reden lassen? Ich warne freilich diejenigen, die sich als zart besaitet verstehen, vor den Fakten dieses Buches. Sie sind voller Grauen.
    Gerade zur Liebesreligion gehört Gewalt. Grausamkeit zieht
    unwiderstehlich jene vielen an, die aus Angst vor eigener und fremder Sexualität Askese, Selbstverfolgung, Folter legitimiert sehen wollen. Bis heute widerfuhr Millionen Opfern keine Gerechtigkeit von den Erben der Täter. Es finden sich weder ernstzunehmende Schuldbekenntnisse, noch zeigen sich die christlichen Kirchen an irgendeiner Entschädigungsleistung interessiert. Das bischöfliche Hilfswerk Adveniat, das Spenden für bischöfliche Interessen in Lateinamerika sammelt,145 stellte seine Kampagne für 1993 unter das Motto »Hört den Schrei der Armen!«. Kein Sammler, kein Spender dürfte sich bei dem Spruch an die Schreie der Opfer erinnert haben, für die seine eigene Kirche verantwortlich zeichnet.
    Kardinal Ratzinger, Chef der vatikanischen Glaubensbehörde,
    hielt im Februar 1994 »die Zeit für gekommen«, daß seine Kirche sich für ihre historischen Untaten bei den Juden entschuldigt.146
    Richtig gehört? Jetzt erst soll die Zeit gekommen sein, also Reue erst Jahrzehnte, Jahrhunderte nach den Verbrechen? Erst jetzt, nachdem andere sich entschuldigten, viele die öffentliche Reue der
    Kirche anmahnten? Und wann wird die Zeit gekommen sein, die
    Opfer zu entschädigen? Diese Kirche hat keinerlei Schrittmacherfunktion. Offenbar gleicht

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