Sex und Folter in der Kirche
Ehelosigkeit kein Mittel, nur Notlösung. Die Folterung von Frauen ist deswegen so grausam alltäglich, weil sie das in patriarchalen Gesellschaften und Religionen übliche Gewaltmonopol des Mannes unter besonderen Bedingungen wiederholt und sichtbar ver-
stärkt. Man braucht sich nicht bei anderen umzusehen, die — wie ein türkisches Gericht noch 1987 — Männergewalt gegen Frauen
legitimierten: »Einer Frau lasse man es im Bauche nicht an Kindern und auf dem Rücken nicht an Schlägen mangeln.. .«121
Meldungen aus dem Patriarchat des Jahres 1994, aus der Ersten, Zweiten, Dritten Welt: Frauen verrichten auf der Erde zwei Drittel aller Arbeiten, erhalten aber nur ein Zehntel des Welteinkommens und besitzen weniger als ein Prozent des Weltvermögens. In der Schweiz gibt es Gemeinden, die ein Wahl- und Stimmrecht für
Frauen verweigern. In Peru geschahen siebzig Prozent aller gemel-deten Gewaltdelikte gegenüber Frauen. In Pakistan kann vorehelicher Geschlechtsverkehr durch Steinigung oder Auspeitschung der Frau bestraft werden. Achtzig Millionen afrikanischer Frauen sind sexuell verstümmelt, um ihr Lustempfinden zu unterdrücken. In Bangkok werden fünfzig Prozent der Frauen von ihren Männern
regelmäßig mißhandelt.122
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Bei der Folterung werden jene Intimsphäre und Unverletzlichkeit des Körpers öffentlich und »legitimerweise« verletzt, die ansonsten als tabuiert gelten - und es doch, wie der Ehealltag verrät, zumindest bei Frauen nicht sind. Der Folterer verfügt dabei nicht nur über den Status seines Geschlechts, sondern auch über eine soziale Position, die diesen Status noch vielfach potenziert. Hat er eine Frau in seine Gewalt gebracht und befragt er sie auf peinliche Weise, wie das Mittelalter formuliert, übt er gottähnliche Macht aus. Er wird sie zu nutzen wissen.
In dem Film Closet Land von Radha Baradwaj wird die gefolterte Frau, die Widerstand wagte, dazu gezwungen, in der Stellung der Arabeske wach zu bleiben: in der Pose einer Ballettänzerin, eine Hand über ihrem Kopf an ein Seil an der Decke gebunden, ein Fuß nach hinten ausgestreckt und festgebunden, so daß der andere Fuß ihr ganzes Gewicht trägt. Schließlich wird ihr ein Fingernagel her-ausgerissen und das Geschehen dem Opfer sexistisch kommentiert:
»Das Schwierigste ist, die Zange gut anzusetzen. Aber wenn man den Nagel einmal fest gepackt hat, braucht man nur zu ziehen. Man zieht so lange, bis man ein Knacken hört, dann ist er draußen. Das Fleisch darunter ist rosa wie ein Babypopo. Wie Ihrer, bevor die Unschuld verschwunden war, bevor er die Welt oder die Berührung eines Mannes kannte.«123
Der moralische Aspekt der Grausamkeit? Um einer Reinheit
willen, die wie in der gegenwärtigen neuen Prüderie zumeist und fast ausschließlich auf sexuellem Gebiet angenommen und gesucht wird, läßt sich jede Folter, auch die todbringende, legitimieren.
Nicht wenige der ehelos lebenden Kleriker zeigten sich anfällig für einen tiefwurzelnden Haß gegen jene, die sich nicht in gleicher Weise als Opfer einer bestimmten Gesetzgebung erwiesen. Und
Brutalität jeden Schlages wurde zum Versuch der Sexualbefriedigung, wenn auch mit wenig dauerhaftem Erfolg.124
Die gespaltenen Psychen verlangen von sich Glauben und Moral, die ihnen nicht gemäß sind. Nicht zufällig befinden sie sich in einem Dauerzustand des Kampfes gegen ihre Natur. Schließlich sagt man ihnen, sie hätten viel zu verteidigen: sich selbst und ihr ewiges Heil.
Dieser Status nährt Ressentiments und führt dazu, in der Wahl der Angriffsmittel nicht allzu viele ethische Hemmungen zu haben. Die offensive Haltung ist besonders ausgeprägt, wenn es sich um den Bereich des Sexuellen handelt; der innere Zusammenhang zwischen 75
Sexualneurose und aggressiver Frömmigkeit ist hier deutlich zu erkennen.125 Da es sich beim Christentum um eine durch und durch patriarchal verseuchte Religion handelt,126 ist es einsichtig, daß sich die Frömmsten Frauen als Opfer ihrer Sexualneurose und Aggression ausersahen. Das verdammte Stückchen Fleisch, das Kirchen-männer mit sich herumzuschleppen hatten, ließ ihnen keine an-
dere Wahl. Sie gaben entweder den Forderungen ihres Geschlechts nach - wie der junge, unbekehrte Augustinus, der in vollen Zügen genoß -, oder sie suchten sich zu retten, indem sie die ständige Versuchung, die Frau, zur Madonna oder zur Hure stilisierten, wie es Augustinus etwas später tat.127
Die Falle der Frau Venus
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