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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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anderen schon hier auf
    Erden - und erst recht da drüben, wo ein Richter- und Henker-Gott die Böcke von den Schafen scheiden wird.
    Das ist kein Sondergut einer fanatischen Minderheit. Denn kein Christ, der seine Glaubensbasis wörtlich nimmt, kann sich weg-stehlen: Bereits das Neue Testament, ein von kleingeistig-patriarchaler Mentalität erfülltes Gotteswort, scheidet zwischen geretteten und verdammten Menschen. Und der Heiland, Retter, Erlöser selbst, als Menschenfreund und Verkünder einer unüberbietbar
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    guten Lehre gepredigt, weist den ersteren die Aufgabe zu, beim Endgericht mit über die letzteren zu Gericht zu sitzen! Was sonst, wenn nicht diese Aussicht auf Rache, sollte Kleinchristen anspor-nen?
    Unfair, sich demgegenüber als liberaler, moderner, verstehender, permissiver Christ zu geben und auf Wesensinhalte der eigenen Religion zu verzichten, um sich als der bessere Mensch zu beweisen!
    Wer dem im Evangelium gezeichneten »Jesus Christus«, wie unter Christen von rechts bis links üblich, nur die besten Seiten des Menschseins anrechnet,152 beweist entweder seine Unkenntnis oder seine Unredlichkeit. Dieser »Jesus« ist nicht jener Softie, der gerade ins gegenwärtige Bild der theologischen und journalistischen
    Weichzeichner paßt. Populisten und ihre Medien können es drehen und wenden, wie sie wollen: Der vollkommene Mensch »Jesus«
    predigte nach Auskunft seiner Jünger nicht nur Hölle, Tod und Teufel,153 sondern auch die fundamentale Heilsnotwendigkeit des Glaubens.
    Zwar ist die Heuchelei um die Anfänge des Christentums und der Kirche in Deutschland sogar staatlich garantiert, patentiert, gesichert,154 doch der Menschensohn, wie ihn Jünger wollten, ist gerade in seinen wichtigen Aussagen fundamentalistisch. Er allein weiß genau, was Gottes Wille ist. Er fordert den Gehorsam gegen diesen. An keiner Stelle läßt er mit sich handeln. Was er definiert, verkündet er imperativistisch, kategorisch, autoritär.155 Gegen diese Rede, die kein Wenn und Aber kennt und keine Einschränkung erwägt, hilft keine Exegese mehr, keine Käuflichkeit der Schriftauslegung, kein ständiges Neu- und Uminterpretieren, Zu-rechtbiegen, Verschweigen. Der neutestamentliche »Jesus« ver-
    langt Gehorsam, und das Gefalle »Hier hörender, inspirierter, gesandter Gottessohn — Glaubende da« ist von Anfang an gegeben.156
    Kein Fundamentalismus kann als Degeneration des angeblich
    reinen Ursprungs gewertet werden,157 wo der Anfang selbst verderbt ist. Wer einen idealen Anfang, einen reinen Ursprung seiner Religion (und ihrer Institutionen, Wertsetzungen, Normen) postuliert, setzt sich über die Geschichtlichkeit des Menschen und seiner Erfahrungen hinweg. Kein Anfang einer geschichtlichen Bewegung war so rein, wunderbar, originär, wie das Spätere legitimierten.
    Keine Religion kam aus dem Nichts. Auch das Christentum macht keine Ausnahme; seine Geschichte ist von Beginn an fragwürdig.
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    Deutet ein vermeintlich moderner Theologe die jeweils unliebsamen Stellen der Bibel weg oder verteidigt er ein wahres Christentum oder den echten Gott behend gegen die abgefallene Kirche, will er betrügen. Im Gespräch mit Nichtchristen stellt niemand einen Partner dar, der an einer so fundamentalistischen Grundvoraussetzung wie der vom reinen und vollkommenen Anfang festhält.
    Gegen die Verkündigung »Jesu«, des wahren Wortes Gottes, gibt es keine Berufung. Es sei denn, wir erführen endgültig, was alles nicht mehr ins Konzept des heutigen Jesus-Bildes paßt und daher von Amts wegen gestrichen werden muß. Aufrichtig wäre, jeder
    Theologe und Jesus-Biograph artikulierte das, was er für sein Idealbild hält, und gäbe zu, daß er dieses Bild dann mit dem Jesus-Etikett versah.158 Der fundamentalste Fundamentalismus159 des Christentums muß von allen Gläubigen, nicht nur von den sogenannten Fundamentalisten akzeptiert werden: Es gibt einen persönlichen Gott, »unseren Gott«, der das Letzte, nicht mehr zu Hinterfragende und nicht Anzuzweifelnde ist, und »Jesus« ist sein Sohn, »unser Herr«. Gegenüber diesen »Offenbarungswahrheiten« der frühen
    Jüngerschaft kommt auch jeder progressive Christ in den Zustand des Bekenntnisses. Ihnen kann er sich nicht verschließen. Sie verlangen sein Ja. Denn »wer nicht glaubt, wird verdammt werden«
    (Mk 16,16).
    Doch hier wird befohlen, dekretiert, als absoluter Maßstab gesetzt, was weder eine absolut einleuchtende noch eine bewiesene oder unbezweifelbare Aussage ist.160

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