Sex und Folter in der Kirche
allen Fragen haben sie eine erlösende Lösung anzubieten. Dann erleben Christen Heimat, sprechen von der Lust, katholisch zu sein. Ihr Auserwähl-tendünkel spielt hier die Bescheidenheit und die Demut. JüngerInnen stellten sich, von Gott erwählt, ein für allemal auf die rechte Seite, auf die der Wahrheit; der Rest, die Welt, auf die andere.
Solche Ab- und Ausgrenzungszwänge sind charakteristisch für
die Liebe zur Gewalt. Sie bleiben nicht folgenlos. Selbst der zugerichtete allmächtige Gott, gerade er, der Liebende, sieht sich gezwungen, Kriege anzuzetteln, weil seine Vaterliebe beleidigt wurde176 und er seine Ehre unter den Menschen wiederherzustellen genötigt ist. Dafür kann er, im wörtlichen Sinne, über Leichen gehen. Die bei Jüngerinnen anzutreffende hemmungslose Aggressivität, gepaart mit penetranter Frömmelei, Opferseligkeit und Sen-dungsbewußtsein, kommt in dem erklärten Willen zum Aus-
druck,177 ständig selbstgerechte Definitionen zu ziehen, Welten und Menschen in Gut und Böse einzuteilen, böse Existenzen durch
Berufsverbote zu vernichten, Abweichungen vom guten Glauben
scharf zu ahnden und die dauerhaft Irrenden schließlich unbarmherzig dem (jenseitigen) Verderben zu überantworten. Wäre solchen Urteilsfreudigen zur Zeit nicht die Möglichkeit der Folter verwehrt, wüßten wir genau, was wir von ihnen zu erwarten hätten.
Diese Vorzeigechristen gelangten in ihrem Denken und Fühlen nie über solche Praxen hinaus. Sie quälen und foltern aus jener Liebe zum Guten, deren kriminelle Konsequenz bekannt ist.
Oder waren es etwa Aufklärer, Querdenker, Ketzer, die Millio-
nen ideologisch, psychisch, physisch vernichteten? Steckte je ein Denkender Scheiterhaufen an, diese »ultima ratio der Theologen«178? Wann nahm er seine Zuflucht zu Folter und Tortur, um 89
Wahrheit durchzusetzen? Führte etwa Vernunft einen der vielen Glaubenskriege, die die Religion anzettelte, legitimierte und durch-stand? War Toleranz gegen Andersdenkende nicht stets nur bei
Denkenden zu Hause, Intoleranz hingegen — bis heute, in Europa und anderswo — bei den vermeintlich reinst Religiösen, fundamental Frömmsten?179
Ein Blick in die Gegenwart lehrt zu unterscheiden: Wer verur-
teilte einen Schriftsteller wegen Gotteslästerung zum Tod? Wer fordert für andere Autoren Schreibverbot, Hausarrest, Gefängnis?
Wer zündete das Hotel an, in dem sich Rushdie-Anhänger aufhielten? Wer schoß auf Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durch-
führten? Und welcher Oberhirte, welcher Journalist, welcher Kommentator zeigte für all dies Verständnis? Gewalt deckt sich unter den Mantel der Liebe. Der Zweck heiligt - wenn überhaupt, dann in dieser Sinnfrage - die Mittel. Obgleich die Frage nach dem Zusammenhang von Liebe und Gewalt nicht nur das Thema »Folter«, sondern ein Alltagsproblem von höchstem Rang betrifft,
wurde sie so gut wie nie systematisch aufgegriffen.
Gewalt stellt keine Ausnahmeerscheinung dar, deren Esoterik
sich unschwer enthüllen ließe. Es handelt sich vielmehr um die ganz gewöhnliche Gewalt gegen alle realen oder potentiellen Opfer, die durchweg als die normale vermittelt und verinnerlicht wird. Sie wird von gesellschaftlich legitimierten Trägern der patriarchalen Rolle ausgeübt, die als gängig gilt: von Richtern, Lehrern, Politikern, Militärs, Pfarrern, Polizisten. Auch die Folterknechte dieser Erde zählen sich zu den legitimierten Rollenträgern. Auch sie üben ihre Tätigkeit im Interesse einer Macht aus, die nicht schon ihre ist, sondern die sie beauftragt, heimlich oder von Amts wegen.
Je absoluter sich solche Gewalten setzen, desto stärker von Ero-sion gefährdet sind sie durch ihre Subjekte (»schwache« Täter) und Objekte (Opfer). Um die Gefahr einer Durchbrechung oder gar
Abschaffung des Gewaltsystems möglichst herabzusetzen, bedür-
fen traditionelle Gewalten des Korrelats »Liebe«. Gewalt und Liebe stehen in einem — bislang so gut wie unerkannten — Wesens- und Funktionszusammenhang: Liebe geht notwendig in Gewalt über,
die unter dem Vorwand, stets das Beste zu wollen, ihre erzieherische Macht ausübt, und Gewalt bleibt ohne Liebe (die auch unter dem Phänomen des Hasses erscheinen kann) auf Dauer ineffizient.
Gewalt bedarf einer spezifisch zugerichteten Liebe, um sich zu 90
decken und zu schützen.
Diese doppelte Togafunktion der Liebe ist charakteristisch für patriarchale und damit auch christlich legitimierte180 Gesellschaften. Liebe existiert nicht
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