Sex und Folter in der Kirche
frei. Sie bleibt sozial wie individuell ge-waltdefiniert, gewaltgeordnet, gewaltgerichtet. Was Liebe ist und wie sie handelt, bestimmt nicht sie selbst, sondern die Definitionsmacht, die auf ihre Interessen sieht und, beispielsweise, Mut-terliebe so zurichtet, daß aus dieser keine Affenliebe181 wird, die allein »Muttersöhnchen« produzierte, jene Spezies von Auch-Männern, die in patriarchalen, das heißt kämpf- und leistungsbestimmten Gesellschaften schlechthin als Versager, Nicht-Vatersöhne, gelten. Alles ist heute definiert, gerade auch die Liebe, die zur Ideologie ihrer eigenen Abwesenheit gemacht wurde.182 Hinter der vermeintlichen Durchsichtigkeit der menschlichen Beziehungen, die nichts Undefiniertes mehr zuläßt, meldet sich die nackte Gewalt.183 Hier hat Folter ihren Ort.
Trügerische Selbsttäuschung, diese Doktrin, die unzählige Va-
rianten eines einzigen Themas aufweist, allein den Reaktionären in Staat, Kirche, Christentum in die Schuhe zu schieben. Sie ist, progressiv oder modern verschleiert, auch bei jenen anzutreffen, die in Theorie und Praxis weite Bögen um ihre fundamentalistischen
Mitmenschen und Mitchristen machen und ihre Berührungsängste
entsprechend artikulieren.
Folterschule
Niemand kann sich auf Dauer den Einflüssen der Gewaltgesell-
schaft entziehen. Gerade die christlichen Kirchen und ihre wesentlichen Lehren sind aufs engste mit diesen Vorgaben verbunden. Kein Christentum befreit vom Patriarchat, wie kurzschlüssige feministi-sche Theologie suggeriert. Christliche Religion ist, nicht zuletzt in ihrer Bestätigung einer fraulichen Opferrolle, nichts anderes als der Phänotyp des Patriarchats, eine lupenreine Ausprägung patriarchaler Normen und Handlungsmuster, die es exemplarisch in sich
hatte und hat.
Herrschaft und Macht werden grundsätzlich nach altherge-
brachten, in patriarchalen Gesellschaften und Zwangsverhältnissen erprobten und ideologiebewehrten Kriterien ausgeübt, die sich 91
ihrerseits in religions- und kirchentypische Verstärkungen ausfor-men: Religiöse Herrschaft und Gewalt wurden lange Zeit aus-
schließlich theologisch gerechtfertigt und fixiert. Noch heute muß eine solche Argumentation dazu herhalten, die Herrschaft von
Männern über Menschen in der Kirche zu legitimieren. So hält sich, obgleich neuerdings die Geschwisterlichkeit betont wird, die angeblich gottgewollte Schichtung in Klassen (Kleriker - Laien). Besonders im katholischen Raum bildete sich ja schon früh eine
geschlossene patriarchale Herrschaftselite. Diese Machtgruppe Klerus gleicht mittlerweile einer Summe der lebenslangen Inhaber von Herrschaftspositionen.
Diese schließen sich bewußt von den allgemeinen Lebensvollzü-
gen aus (»Opferleben« Zölibat), beanspruchen jedoch ein reserviertes Herrschaftswissen über ebendiese (zum Beispiel Ehe). Kirchenvertreter lieben moralisierende, allaussagende, also nach eigenem Anspruch nicht zu falsifizierende Wertungen und Selektionen in gut und schlecht, sündig und rein, profan und religiös. Historisch blieb dies nicht ohne Folgen für die Folter...
Unter Jugendlichen setzen sich gegenteilige Meinungen und Haltungen durch: Ihre Werteprioritäten sind kaum mehr durch die
klerikalen Vorgaben beeinflußt oder zu beeinflussen. Der Religionsunterricht rutschte in der Beliebtheit der Fächer auf den vor-letzten Platz ab, Bibellesen ist megaout, theologische Begriffe wie
»Erlösung« und »Offenbarung« sind in ihrer Bedeutung weitge-
hend unbekannt.184 Das Christentum verdunstet. Ein diesseits-
orientiertes Weltbild und eine Selbständigkeit des einzelnen, der nur noch glaubt, was zu verifizieren ist, beginnen mächtig zu werden, und die Angebote der Christenoffiziellen begegnen zuneh-
mend dem Desinteresse, Spott, Mitleid.185
Die Reaktion der Kirchen? Klappt es von Fall zu Fall nicht mehr so recht mit dem Gehorsam, werden neue Herrschafts-Reize aus-gesandt. Sie haben den Zweck, Befolgungs-Reaktionen bei den
Beherrschten auszulösen. Unter anderem reichen Kleriker Rechtfertigungen nach, erstellen weitere Feindbilder, schwören die ver-bliebenen (älteren) Gläubigen erneut auf die Hirten ein und wecken vielfältige Formen der (Schuld-)Angst vor der Unordnung — und allen unordentlichen Personen, Mitchristen, »Heiden«. Herr-schaftsfreiheit wird von den kirchlichen Machttechnikern und ihren Medien, aber auch von den (über-)angepaßten Gläubigen als 92
Sinnverlust gedeutet. Die dafür verantwortlich gemachten
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