Sex und Folter in der Kirche
alternativen Verhältnisse und Personen gelten als prinzipiell eliminierbare Störfaktoren, gegen die Aggressionen186 mobilisiert werden können - und dürfen. Im religiös abgegrenzten Pferch, in dem Hirten eine Herde betreuen, ist eine Ordnung höchster Wert, die auf Über-und Unterordnung basiert. Von daher gesehen, finden Ansprüche auf Herrschaft und Durchsetzung von Herrschaft noch immer willig konformen Glauben bei jenen machtorientierten und zum
»Blick nach oben« bereiten Menschen, die von ihrer Religion und Kirche permanent wirksame Anleitungen zur Weltbewältigung,
psychische Verhaltenssicherheit und soziale Stabilität verlangen.
Um solche Vorzüge religiöser Herrschaft zu genießen und Mono-
polgewinne zu machen, die sie von allen Nichtgläubigen abheben, sind Jüngerinnen zu vielen Opfern bereit: Sie lassen Lebensvollzüge von »ihrer« Kirche absorbieren und sich selbst detailliert disziplinieren. Sie akzeptieren die Außenleitung, lassen eigene Bedürfnisse durch die Erwartungen anderer (angeblich berufener) Menschen
lenken. Auch verfügen sie über verschiedene Arten der Wahrnehmungsabwehr und geben diese als Glauben aus, verzichten zugunsten einer Fremdbestimmung durch Religionsexperten auf den
Selbstand im Denken, Fühlen und Handeln.
Hilfreich, sich im Zusammenhang mit der christlichen Folterbereitschaft an diese Merkmale der Zurichtung zu erinnern. Folterer werden nicht geboren, sondern gemacht.187 Dazu bedurfte es lange Zeit nicht einmal eigener Folterschulen - wie beispielsweise in Guatemala188, wo der Katholizismus Staatsreligion ist. Um potentielle wie aktive Folterer heranzubilden, reichte die gewöhnliche Sozialisation zum gehorsamen Christen aus. Die Folterfähigkeit, die Bereitwilligkeit, Gewalt gegen andere auszuüben, bleibt eine Frage des Gehorsams, der Angst vor irgendwelchen Vorgesetzten und des Glaubens an legitimierte Autoritäten.
Diese Werteväter brauchen nur absolut gehorsame Söhne auszu-
bilden und diesen die entsprechenden Feindbilder vorzuhalten, und schon bekommen die Schreibtischtäter, was sie wollen. Ein Ausbilder der Gegenwart schildert die Gehorsamserziehung der Folter-rekruten an konkreten Beispielen: »Am liebsten mochte ich es, sie stundenlang barfüßig auf dem Bettgestänge herumspringen zu lassen. Außerdem hatte ich da so eine große Puppe, wie sie in den Schaufenstern stehen, und ich befahl ihnen, mit ihr zu schlafen.
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Einmal befahl ich einem Dienstjüngeren, so lange an einem Kugel-schreiber zu reiben, bis der seine Tinte ›ejakulierte‹. Er war derart verängstigt, daß er am nächsten Morgen mit einem geschwollenen Finger zum Appell antrat. Er hatte die ganze Nacht an dem Kugel-schreiber gerieben. Er dachte, er würde umgebracht, wenn er es nicht schaffte...«189
Nicht zufällig wurden auch Diktatoren der jüngsten Vergangen-
heit den künftigen Folterern als Götter dargestellt, denen ein gleichsam religiöser Gehorsam geschuldet war; nicht ohne Grund be-
schrieb man ihnen den obersten Chef der Militärpolizei als gütigen Vater.190 Wer leugnet, ähnliche Kriterien und Vorbilder in christlichen Kirchen anzutreffen, sieht nicht klar. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Gehorsam und Grausamkeit, und wer Gehor-
sam einübt, schließt Gewaltbereitschaft auf: Der Satz »Besonders gehorsam, besonders grausam« ist ein Schlüssel zu den Psychen aller Folterer.
Niemand kommt gehorsam auf die Erde; ein Mensch muß erst
zum gläubig Gehorsamen gemacht werden. Dann aber geht alles
seinen normalen Weg. Man kann sich geradezu an seine eigene
Grausamkeit gewöhnen. Sie erscheint furchtbar alltäglich. Voltaire schildert den Prozeß einer ganz und gar normal wirkenden Gewöhnung: »Der würdige Beamte, der für irgendeinen Betrag das Recht erworben hat, an seinem Nächsten solche (Folter-)Experimente
durchzuführen, kann beim Abendessen seiner Frau erzählen, was am Morgen passiert ist. Beim ersten Mal wird Madame entsetzt
sein, aber beim zweiten Mal findet sie, weil alle Frauen neugierig sind, schon daran Geschmack, und schließlich wird sie ihn, wenn er in seiner Robe nach Hause kommt, mit den Worten begrüßen:
›Mein kleines Herz, hast du heute niemanden gefoltert?‹«191
Offenbar geht die Domestizierung nicht ohne Verluste ab. Je
gehorsamsgläubiger ein Mensch ist, je infantiler er sich seinen Glauben einrichtete, je abhängiger er von einem Oben wurde, desto mehr seelische Strukturen gab er auf, ließ er sich brechen. Völlig
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