Sex und Folter in der Kirche
Priester, ein Papst mit jedem Satz, den er spricht, nicht nur irrt, sondern lügt - daß es ihm nicht mehr freisteht, aus ›Unschuld‹, aus ›Unwissenheit‹ zu lügen.«29
Theologen müssen klare Evidenz für rabenschwarze Nacht, Be-
weise für unbegründete oder fehlerhaft begründete Voraussetzungen, die einfache Wahrheit für dialektische Spiegelfechterei, die unvermeidliche Notwendigkeit für ein Hirngespinst ansehen und erklären.30 Machten sie es anders, gäben sie sich auf. Woher aber, fragt sich Friedrich Hebbel31, mag es kommen, daß alles, was auf 114
Erden je bedeutend war, über das Christentum (gleich abschätzig) dachte wie ich? In jeder Religion ist der religiöse Mensch die Ausnahme.32
Waren es die geringsten Geister, die das Christentum »eine
Lüge«, »die Religion der unanständigen Leute« nannten, den Papst
»den besten Schauspieler« ? Oder waren es die Großen der Weltliteratur, die schrieben, »der Katholizismus verteidigte stets den Diebstahl, den Raub, die Gewalttat und den Mord« und in der Regel müsse »jeder katholische Priester zu einem Scheusal« werden, zumal seinesgleichen »von Natur aus schwächlich, heuchlerisch und feige« sei? Wer nannte die Klöster »Behältnisse des Wahns«, voll von Aberglauben und Unduldsamkeit? Wer attestierte dem Christentum Jahrhunderte voller »Schurkereien und Schwachsinnigkeiten«, hieß es einen »Wahn«, »der die ganze Welt bestach«, den
»einen unsterblichen Schandfleck«, das »Blatterngift der Menschheit«? Wer schalt das heiligste Blutsymbol der Christenheit, das Kreuz, widerlich »wie Gift und Schlange«, das »Widerwärtigste unter der Sonne«? Wer erklärte Begriffe wie »Gott«, »Heiland«,
»Erlöser«, »Heiliger« zu »Schimpfworten«, zu »Verbrecher-Abzeichen«, die Religion zur »universellen Zwangsneurose«? Wer
schrieb: »Tief im Herzen veracht ich die Rotte der Herren und Pfaffen«?
Waren es unvernünftige Literaten, zu Recht Vergessene? Nein.
So urteilten Bayle, Voltaire, Friedrich der Große, Helvetius, Goethe, Schiller, Heine, Hebbel, Hölderlin, Nietzsche, Freud.33 Ich nehme mir die Freiheit, sie zu zitieren; das wird im Land der Dichter und Denker erlaubt sein. Den Jüngern mögen die großen Autoren als vernachlässigenswerte Kleingeister erscheinen, und Studienräte können solche Worte ihrer Klassiker vor den Schülern verstecken.
Doch viele andere lasen und zogen Konsequenzen: Nicht zufällig kümmert sich, was Rang und Namen in Literatur und Kunst hat,
heute nicht mehr um die Sinnfragen der Christen.34 Sie sind
schlicht, mit möglichst großer Schonung, beiseite geschoben.35
Um so verbissener predigen Priester ihr Gottesreich: Das christliche Mäxchen behält nicht umsonst seine anerzogene, tiefsitzende Angst vor der Freiheit; es glaubt, seine Denk- und Gehhilfen nicht wegwerfen zu können. Wenn ihm auch Papst und Kirche mehr und
mehr zur Last fallen, seinen lieben Gott läßt es sich nicht nehmen.
Schon das geringste Anzeichen von Gottlosigkeit, was immer das 115
sei, löst bei ihm Abwehrreaktionen aus. Seine letzte Devise ist noch auf allen Märkten feil: »Gott, ja — Kirche, nein.« Gott? Antike
Gottesvorstellungen waren so frei, sich keinen eigentlichen Schöpfer-Gott auszudenken. So tief sanken sie nie; ihr Instinkt bewahrte sie vor einer so krassen Vermenschlichung36 — genauer: vor einer Einbindung in patriarchale Technikmodelle37. Angesichts einer Schöpfung, in der alle Starken fressen und alle Schwächeren gefressen werden (ich meine nicht die Tiere!), »liegt die Vermutung nahe, daß auch der Urheber frißt«38.
Allein Annahme und Begriff der Schöpfung bedeuten Denkver-
bote. Sie desavouieren menschliche Wissenschaft; deshalb werden sie von Theologen geschätzt. Sie ersetzen den Begriffs-Albinos39
den Mangel neuzeitlicher Theorie. Dasselbe gilt vom Schöpfer, von Gott, einem Begriff, der unterschiedslos alles und damit nichts erklärt.40 Gott ist »eine faustgrobe Antwort, eine Undelikatesse gegen uns Denker — und im Grunde sogar bloß ein faustgrobes
Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!«41.
Christokraten sagen, wenn sie nicht mehr weiterwissen, es gebe Dinge, die über unsere Vernunft hinausgehen. Diese Auskunft kann uns allerdings nicht veranlassen, ihren jeweiligen Unsinn zu glauben. Sie gleichen einem Mann, der dem im dunklen Wald Verirrten rät, auch noch seine kleine Kerze auszublasen, damit er sich besser zurechtfinde. Und einmal angenommen, ein Schöpfer schenke
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