Sex und Folter in der Kirche
Vokabeln wie »Angriff« ein?63 Sind Denken, Fühlen und Handeln von Christen doch noch prinzipiell aggressiv? Ist Bundeskanzler Kohl, der glaubt, ein Land ohne Gott habe prinzipiell keine Zukunft,64 allein wegen dieser Intoleranz gegen fremdes Denken und 123
Handeln und seiner hanebüchenen Unkenntnis christlicher Gottesstaats-Geschichte ein guter Christ?
Christen verschieben die Heilung vom Bösen, von Folter und
Mord, die doch in der Geschichte erlitten werden und auf Erden bekämpft werden müssen, in ein vom Glauben eingerichtetes Jenseits.65 Das entlastet sie ungemein - und macht die Hände frei, doch nicht zum Beten allein. Der Hohenstauferkaiser Friedrich II. erließ 1232 ein wahrscheinlich von der päpstlichen Kurie vorformuliertes Reichsgesetz gegen die Ketzer, die »Schlangensöhne des Unglaubens«. Darin beruft er sich auf das unter Christen sichere Wissen, daß »Gott ein eifriger Gott ist, der die Sünden der Väter gewaltig heimsucht«. Aus dieser Jünger-Wahrheit leitet er die Rechtfertigung grausamer Verfolgung und Sippenhaft ab: Die Strafe des
Vermögenseinzuges und des Ausschlusses von allen weltlichen Äm-tern und Ehren trifft, im Namen »unseres Gottes«, nicht nur die Ketzer und deren Schützer, Begünstiger und Schirmherren selbst, sondern auch deren Nachkommen, »auf daß sie in Erinnerung an
das Verbrechen des Vaters in dauernder Trauer dahinschwin-
den«66.
Christenwelten sind hier wie drüben säuberlich aufgeteilt und besenrein gefegt. Nur so scheint sich das Christsein inmitten der
»gewissen Aristokratie der Frommen« zu lohnen, die der dezidierte Nichtchrist Goethe verspottete.67 So spricht christlicher Heilsegoismus mit seinem Gott: »Daß die Welt einmal aufhört und Gott
wieder Alles in Allem ist, dagegen haben die Theologen gar nichts; nur eine Bedingung stellen sie: sie müssen dann auch noch dabei sein, um die ungetrübte Herrlichkeit Gottes mit zu genießen.«68
Der christliche Jünger-Glaube und sein Genuß sind ihrem Wesen nach intolerant. Stets ist mit ihnen der Wahn verbunden, ihre Sache sei die Sache Gottes,69 »unseres starken Gottes«. Viele Christen wissen nur zu gut, was sie wollen. Die anderen wissen vergleichsweise nichts. Sie müssen sich wundern und fragen: »Wie? Nur
Nächstenmoral soll ich üben? Nur meinesgleichen soll ich lieben?
Nicht die Sonne? nicht die Tiere? nicht Blumen und Krauter? nicht Bewohner unbekannter Welten und bessere Gestirne? Es scheint
mir, daß bei euch im Abendlande der Mensch aus dem Leben
heraus- und der Natur gegenübergetreten ist. Denn immer handelt es sich um eure Not, eure Sehnsucht, eure Erlösung.«70
Der christliche Gott ist arm dran. »Unser Gott« hat so viel Pech 124
mit den Seinen und deren Heilsmassenanstalt (Max Weber71), daß ich schon Mitleid mit dem Sterbenden verspüre. Verdiente er, was Christen ihm antaten? Nicht nur, daß seine angeblich eigenen
Worte nur von Fall zu Fall theologische und amtskirchliche Geltung erlangten:72 Das eindeutige Verbot des Schwörens und des Drumherumredens (Mt 5,34-37) ist bei den späteren Jüngern
ebenso außer Kraft gesetzt wie das Gebot, niemanden auf Erden Vater (Heiliger Vater?) zu nennen (Mt 23,9). Der Allmächtige
vermag sich nicht einmal im eigenen Haus Achtung zu verschaffen.
Selbst sein Versuch, Liebe einzuführen, sich als allgemeiner Weltbe-glücker, als Philanthrop zu geben,73 ist gescheitert.
Nicht nur, daß andere Gottesworte zwar theoretisch anerkannt, doch praktisch - von seinen Stellvertretern zuerst! - mißachtet wurden: Die hochgelobte Bergpredigt74 zum Beispiel teilt dieses Schicksal. Nicht nur, daß andere seiner Worte so gewaltigen Gehorsam fanden, daß Millionen Menschen darüber starben: Bei-
spielsweise ist das Wort »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« aus der vermutlichen Passion Jesu (Mt 27,25) mitverant-wortlich für den schlimmsten Christenmord an Juden. Dieser mit-leiderregende Gott ist selbst geschaffen als ein Wesen, das die Seinen liebt, vorausgesetzt, sie gehorchen ihm. Ein Gott, der mit der Hölle droht und den Himmel zusagt, je nachdem, ob seiner Liebe geglaubt wird oder nicht. Was nur kann einem Gott daran liegen, seine Geschöpfe (Söhne, Kinder, Jünger) ausgestreckt vor sich liegen zu sehen? Sich ausgerechnet von Untertanen geliebt zu wissen?
Seine Freude am Unterwerfen als Entsprechung zum Despotentum
der Epoche gedeutet zu sehen, die ihn schuf?75
Ein Vater-Gott, der verlorene Söhne liebt, wenn sie zu ihm
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