Sex und Folter in der Kirche
Opfer. Seine Gewalt verlangt nach Tätern auf Erden. Nicht zufällig weisen christfromme Folterknechte jahrhundertelang der Welt das beste, ruhigste, reueloseste Gewissen vor. Mit dem Blut der Ketzer besudelt, müssen sie sich für die Rächer der Gottheit halten.84 Ihre Kirche hetzte sie zur Tat und schützte sie nach dieser, versprach ihnen gar vorab Ablaß ihrer Sünden für künftige Schreckenstaten. Doch sind ihre Hände rein von Blut, weil ein Papst sie für unschuldig oder für weniger schuldig erklärte? Pierre Bayle: »Die Zweifel an der Existenz Gottes fallen wohl kaum in solche Seelen... Die nur nach Blut und Gemetzel
dürsten,... sind für den Religionseifer sehr stark empfänglich.
Denn wenn man sie auf ein Volk anderen Glaubens losläßt und
wenn man sie mittels dieses großen Motivs aufstachelt, sieht man, daß sich ihr Mut oft bis zur Raserei steigert und daß sie die Gewalttaten, die sie begehen, als bloße Akte der Frömmigkeit ansehen.«85
Der Eindruck vieler hält sich, als schalteten Menschen, die sonst stets vernünftigen Argumenten zugänglich sind und diese selbst vorlegen, ihren Verstand aus, wenn es um Religion geht. Näherhin: um die Religion und den Gott, den ihnen jene gaben, die ihren Beruf darin haben. Nicht aber um jene, die sie in sich selbst verspüren mögen, um ihre Anlage für Gott. Ludwig Feuerbach, Sohn des
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Kriminalisten Anselm von Feuerbach († 1833), der die Abschaf-
fung der Folter in Bayern wesentlich betrieben hatte,86 in einem von der Kirche wie selbstverständlich verbotenen Buch: »Die Religion ist daher so wenig ein Besserungsmittel des Menschen, daß sie vielmehr ihn zur Verstellung vor sich selbst, zum Selbstbetrug verführt, indem sie seinem Glauben und Handeln andere Motive
unterlegt, als in Wahrheit zu Grunde liegen.«87
Langjährige Erfahrung mit Christen lehrte mich, von den meisten auch nicht das geringste Verständnis für die Opfer zu erwarten. Ich hörte nicht nur kein öffentliches Wort der Reue von denen, die sonst ständig von Schuld und Zerknirschung reden. Ich traf auch in keiner einzigen Diskussion auf einen Christen, der nicht die Täter zu verteidigen gesucht statt an die Opfer erinnert hätte. Benutzen Historiker, wie die Amtskirche sie sich hält, in bezug auf Opfer des Systems wie Savonarola, Hus oder Galilei neuerdings die Vokabeln
»tragisch«, »unglücklich«, »mißverständlich«, so verfolgen sie die Interessen ihrer Brotgeber. Fair ist diese gelenkte Wissenschaft nie, und ihre Wortwahl bleibt verräterisch. Sollen Täterschaft und Opferstatus gewichtet werden, stellen Theologen sich auf die Seite der Täter. Dies gilt nicht allein in bezug auf die Millionen Menschen, die Christen in der Vergangenheit folterten und ermordeten. Es gilt auch für die Gegenwart, zum Beispiel in Sachen sexuellen Miß-
brauchs von Kindern durch Priester.88
Muß das so bleiben? Gibt es kein fühlendes Herz? Ich weigere
mich noch immer, dies bei allen Christen anzunehmen. Doch nicht ohne Grund sind die Erben der Täter nicht bereit, die schwere Blutschuld der Väter anzuerkennen. Sie vertuschen nicht nur, sie wiegeln nicht nur ab, sie bleiben reuelos. Sie wissen genau, worauf sie sich berufen: Ihr gesamtes Denken, Fühlen und Tun ist durch-drungen von den unheimlichen Zügen einer Gottheit, deren Phäno-mene sich schon in der Bibel abzeichnen - und die ich grausam gottlos nenne. »Unser Gott« führte die Hand beim Foltern, er
akzeptiert auch die Reuelosigkeit und Gleichgültigkeit unserer Kirchen. Wir waren und sind im Auftrag seiner Offenbarung am Werk.
Er deckt unsere niedersten Motive, unsere Ausflüchte. Er ist ganz unser.
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Väterliche Opferfreuden
Eine zweite Liebesgeschichte.
Auch sie, die von Abraham, seinem Sohn und seinem Gott han-
delt, entstammt der patriarchalen Geisteswelt. Frauen kommen erst gar nicht vor. Sie gilt als eine zentrale Erzählung der Bibel und gibt Stoff für tausend Predigten ab. Ist es zynisch, wenn sie durchleuchtet und anders als gewöhnlich gedeutet wird? Treiben wir Spott mit den Gefühlen anderer, wenn wir einer biblischen Geschichte auf den Grund gehen? Wer oder was verpflichtet uns eigentlich, der hergebrachten Exegese zu folgen? Müssen wir uns gewisse Legiti-mationskünste und Auslegungstricks zu eigen machen?
Es darf ruhig gefragt werden, wer zynisch ist, wer seine Religion mit den Gefühlen vieler Menschen spielen läßt. Verletzen nicht jene Exegeten unsere Empfindungen, die nach zweitausend
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