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Sex und Folter in der Kirche

Sex und Folter in der Kirche

Titel: Sex und Folter in der Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Herrmann
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damaligen Formen der Volksfrömmigkeit angeglichen,54 doch gilt es noch immer als das Gebet der Jünger schlechthin: das VaterUNSER (Mt 6,9-13).
    Heute wollen es manche in ein »Mutterunser« umformulieren. Der Vorschlag geht am Wesen des Textes vorbei. Vater muß Vater
    bleiben, weil das ganze Gebet einer der reinsten Ausflüsse patriarchalen Denkens ist. Eingehende Untersuchungen zum Verhältnis
    von patriarchaler Gewalt und Liebe im Vaterunser liegen allerdings noch nicht vor. Doch ist schon jetzt zu erkennen, wie häufig sich der Text mit den tradierten Herrschaftsfloskeln aufputzt, während Worte der Liebe relativ selten gebraucht werden.
    Zumindest fällt auf, daß davon die Rede ist, »unser Vater«
    (Gruppenbindung von Vater und echten Söhnen, Jüngern) sei im
    Himmel (also oben), sein Name werde geheiligt (aufs höchste erhoben), sein Reich (Territorium, Landnahme) komme, sein Wille
    geschehe (Jünger-Gehorsam). Selbst die Bitten um das tägliche Brot, um die Vergebung von Schuld, um die Bewahrung vor Versuchung und um die Erlösung vom Bösen weisen nicht unbedingt auf Liebesbezeigungen hin. In erster Linie beweisen sie die Aus-
    übung von Herrschaftsgewalt, die folgerichtig aus Liebe geschehen kann — oder auch nicht. Geschähe sie von vornherein, unbedingt, bedingungslos, bedürfte sie keiner einzigen Bitte, keines Gebetes, keines Vaterunsers.
    Sage mir, zu wem und wie du betest, und ich sage dir, wer du bist.
    Glaubensbekenntnisse verlangen nach Interpretation: Wer so all-wissend, allmächtig, alliebend wie der biblische Gott und gute Hausvater festlegt, was in jedem Fall das Beste für die Seinen ist oder sein wird, hält alle Gewalt in Händen. Er ist auch unter dieser Perspektive der einzig allmächtige Herr und Gott. Vater, dein Wille 120
    geschehe! Wer nur den lieben Gott läßt walten...
    Solche Feigheit gegen die Liebe zu sich selbst hält das Gewissen als Strafwerkzeug intakt. Der Sicherheitsbedürftige wird mit seiner Biographie nur fertig, wenn er diese einem Vater und Richter
    aufbürdet und sein Ich dessen Liebe anvertraut - und wenn er
    schließlich, wie historisch nachzuweisen, Andersdenkende und Andersgläubige verfolgt, foltert, tötet. Der Vater-Gott, den Jünger-Ehrgeiz seinen Bedürfnissen anpaßte, stellt in der ihm zugeschriebenen Perfektion eine unvollkommene Kreatur dar. Ihrer Moral fehlt jeder Abstand zu der ihrer Väter. Auch Gott wird von den Seinen gefoltert; diese machen gerade bei ihm keine Ausnahme.
    Der Vater-Gott, »unser Gott«, belohnt, wie am eigenen Sohn
    und am verlorenen des Gleichnisses exemplarisch vorgeführt, stets die Leistung, die ihn schuf: die siegreiche Tüchtigkeit, die Reuelei-stung der als gut Definierten. Wer aber durch Nichtleistung auffiel, wer diesen Gott wieder abschaffen will, gehört bestraft. Er bleibt in den Kreisen der patriarchalen Gottesdenker ein Fremder. Von oben herab dekretieren die Jünger: Das nichtchristliche Wertebewußtsein ist gestört; selbst die humanistischen Grundwerte, die rein innerweltlich und vernunftbegründet sind, gelten allenfalls als schlechte Kopien christlicher Werte.
    Dem Fremden und den von ihm vertretenen Werten sind seit
    jeher das durch nichts begründete Überlegenheitsgefühl und der gut begründete Haß der Christen sicher.55 Christliche Nächstenliebe56
    dagegen hat Schonzeit. Es ist ein Kreuz mit ihr: Wenn sie wirklich gebraucht wird, wenn sie sich tatkräftig beweisen sollte, versagt sie.
    Der Satz »Liebet eure Feinde« (Mt 5,44) bezieht sich in der Praxis noch nicht einmal auf persönliche Gegner. Die öffentlichen Feinde, die Feinde Gottes, die Feinde des Glaubens und der Religion, die Gegner des Christentums hatten noch nie die Ehre, das Wort auf sich bezogen zu sehen. Es ist nur eingeschränkt oder gar nicht praktisch gültig.
    Auch andere Werte gelten nichts, über die sich Kleriker in Fensterpredigten auslassen. Niemand mehr wird zum Beispiel nach den miesen Erfahrungen mit der Christenheit annehmen, beleidigte
    Christen segneten ihre Beleidiger, verfolgte beteten für ihre Verfolger (Mt 5,44), hielten wenigstens die zweite Wange hin (Mt 5,39).
    Nein, Christen sind verläßlich bibeluntreu: Sie schlagen zurück.
    Wo nur bleibt die angeblich übernatürliche Ausrichtung, wenn
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    schlagende und verfolgende Christen zur Unterstützung ihres Hasses sogar Polizeigewalt und Henkersknechte benötigen? Wenn sie Bücher beschlagnahmen und verbrennen, die Autoren verfolgen
    und vernichten lassen? Die

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