Sex und Folter in der Kirche
wenn er sich auf oberhirtliche Vorgaben, nicht auf sie selbst, ihre Bedürfnisse, ihre Vernunft bezieht. Das Gewissen gilt nur dann nicht als irrig, wenn es den sogenannten objektiven Kriterien einer Oberinstanz (Bibel, Kirche) angepaßt ist, und Glaube ist nur dann als echt anerkannt, wenn er die Inhalte dieses Über-Ich getreulich annimmt. Ein gehorsames Volk, das die Artikel des
Glaubens und der Moral gewissenhaft wie Pillen schluckt - das ist die »Freiheit der Kinder Gottes«!
Möglichst ein Gott, ein Glaube, eine Moral, eine Religion?
Einem Menschen abverlangen, daß er so denke, so fühle, so handle wie wir selbst oder zumindest unser eigenes Denken und Tun als das allein richtige billige, heißt ihn uns angleichen. Fordern wir von ihm oder erziehen wir ihn dazu, daß er in allem uns gleich sei, könnten wir mit gleichem Recht von ihm erwarten, daß er auch
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unsere Gesichtszüge annehme. Könnten Menschen sich nicht ein
wenig mehr Freiheit leisten als diese? Müssen sie gleichgeschaltet bleiben? Um eines Höheren willen, das ihnen ein weiteres Mal
vorabdefiniert wird? Jünger achteten Gleichdenkende stets höher als Andersdenkende. Aus ihrer Liebe zum Gleichen, also ihrer
Meinung nach zum Höherwertigen, folgte notwendig die Verfol-
gung aller nicht Gleichdenkenden. Und die fanatisch geschürte öffentliche Entrüstung. Das soziale Denkverbot. Der Haß gegen die Sünder. Der Wille, zu vernichten. Indem Glaube den Unglauben
auslöscht, entgeht er seinem eigenen Zweifel und der aus diesem resultierenden Strafe. Immer wieder sind es die rechthaberisch Bösartigen, die Gott als rachsüchtigen Tyrannen malen, der kleinste Vergehen mit harten Strafen ahndet. Ihre Frömmigkeit ist der
Schleier, womit sie Verbrechen verhüllen.81 Fromm sehen sie einfach besser aus; das Kostüm steht ihnen.
Religion und Heuchelei sehen sich ähnlich wie eineiige Zwil-
linge; oft sind sie gar nicht voneinander zu unterscheiden.82 Dieselbe Gestalt, Kleidung, Sprache, dieselben Gesten und Vorlieben.
Vielleicht dehnt die Heuchelei etwas weicher die Worte, wiederholt noch öfter das Wörtchen »Liebe«. Sie ist etwas im Nachteil: Religion hat die Liebe ihrer Gewalt bereits eingemeindet und muß diese nicht mehr gar so oft im Munde führen. Echte Söhne, Jünger, sind für die Verfolgermentalität dieses Christentums nur jene Menschen, die sich dem Vaterhaus ausliefern. Nur Gehorsam schafft Sohnes- und Vaterliebe.
Dabei müßten wir all die Freiheiten der Neuzeit nutzen, in Meinung, Gewissen, Religion. Sie wurden gegen den anhaltenden Widerstand von Päpsten und anderen Verleumdern der Vernunft
durchgesetzt. Ja, wir sind befreit, weil andere unter dem Einsatz ihres Lebens Folter und Scheiterhaufen beseitigten! Denen, die für uns gegen die geweihten Unterdrücker der Wahrheit kämpften,
vergesse ich ihr Opfer nie. Nicht ohne Grund schreibe ich oft über die von Christen gefolterten und ermordeten Ketzer.
Viele beklagen sich über den sogenannten Mißbrauch der Reli-
gion. Doch nur wenige haben bereits bemerkt, daß diese Übel und das mit ihnen verbundene Leid der Menschen notwendige Folgen
ebendieser Religion darstellen. Daß sie auf den Begriff gegründet sind, den die Wortführer der Religion sich von ihrer Gottheit machten.83 Jede Reform beginnt folglich bei Gott selbst. Wie es 128
aber unter den Menschen aussieht, wird dieser Gottesglaube noch Jahrhunderte überleben, wenn nicht über die Vernunft siegen. Ich hoffe dennoch, daß die grausame Weltansicht des schönen Scheins einmal keine Anhänger mehr findet. Ich hoffe, daß es eines Tages keinem Schwindelidealisten mehr möglich sein wird, über Freiheit, Menschenrecht, Menschenwürde zu reden, ohne daß die Menschen
lachen. Ich hoffe, daß kein Theologe es mehr wagen kann, seine Religion als Hort der Freiheit und des Lebens auszupredigen, ohne daß ihm die Millionen Toter begegnen, die diese um ihrer Machter-haltung willen opferte.
Hoffentlich kann auch der willfährig gottlose Gott, den sich
Jünger halten, eines Tages nicht mehr als Möglichkeit zur Befreiung der Menschheit ausgegeben werden. Von einem solchen Gott
kommt keine Freiheit. Niemand kann, ohne unredlich zu sein, den schlechten Menschen, die böse Kirche, die gewalttätige Religion gegen einen lauteren Gott ausspielen. Ebendieser Gott ist, selbst Schöpfung aus Angst und Grausamkeit, Mitschöpfer erniedrigen-der Angst und Legitimationsinstanz für Grausamkeit unter den
Menschen. Er braucht
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