Sex und Folter in der Kirche
Liste derer, die mörderischen Haß für ihre Schriften ernteten und zum Teil auch von den Bütteln eines christlichen Staats verfolgt wurden, ist ja ellenlang.57 Schriftsteller der Weltliteratur wie Balzac, Descartes, Diderot, Dumas, Flaubert, Helvetius, Hobbes, Hugo, Kant, Lessing, Montaigne, Montes-quieu, Pascal, Proudhon, Rousseau, Saint-Simon, Spinoza, Stendhal, Voltaire, Zola fanden sich auf dem Index der verbotenen Bücher wieder; Katholikinnen durften nicht einmal lesen, was Europas beste Köpfe gedacht hatten.
Findet sich ein einziges ähnlich schändliches Verbot, das Denkende im umgekehrten Fall gegen christliche Schriften gefordert oder erlassen hätten? Verbrannten Montaigne, Voltaire, Rousseau je einen Christen? Folterten Kant, Lessing, Heine ihre Kritiker?
Hetzten Bayle, Hobbes, Darwin zum Pogrom? Gingen Schopen-
hauer, Feuerbach, Nietzsche mit der Polizei gegen Bischöfe vor?
Gewiß darf jeder Mensch glauben, was ihm guttut. Menschen
können unverdrossen ihre Illusionen pflegen, auch an ihre Unsterblichkeit glauben, an ihren Himmel, ihre Hölle. Nur dürfen sie diesen Glauben nicht von anderen fordern, geschweige denn diese wegen ihres vermeintlichen Unglaubens diffamieren und verfolgen.
Wo aber ist die Gewalt zu Hause? Köpfen das Denken zu verbieten, Gehirne zu waschen, Psychen zu verstören, Körper zu belasten
bleibt eine Spezialität der gottgläubigsten, kleingläubigsten, gewalttätigsten Jüngerschaft. Diffamierung wie Verfolgung der Andersdenkenden sind überall Monopole der Geistlichkeit.58 Andere Menschen sind frei von der einschlägigen Angst um »unseren
Gott«. Auch von daher gesehen, ist diese Religion grundsätzlich geschlagen, in der Idee getötet. Sie lebt nur noch »ein mechanisches Leben, wie eine Fliege, der man den Kopf abgeschnitten und die es gar nicht zu merken scheint und noch immer wohlgemut umher-fliegt. Wieviel Jahrhunderte die große Fliege, der Katholizismus, noch im Bauche hat, weiß ich nicht«, sagt Heine, »aber es ist von ihm gar nicht mehr die Rede.«59
Der Jünger-Gott macht die Gewalt der Welt keineswegs überflüssig; er bedient sich ihrer. So wenig erhebt sich seine Allmacht über ihre Schöpfer. Wer das Neue Testament als geschichtlichen Fort-122
schritt ansieht, wer sich von ihm gar die Erlösung aus den Gewalten der Welt erhofft, täuscht sich. Die Bösen, die Christen anderswo ausmachen und nicht bei sich selbst, mochten diesen Guten hin und wieder Schätze, Ehre, Freiheit rauben. Doch gingen den Christen damit Werte verloren? Oder bloß irdische Güter60, die den Christen, nach der Bergpredigt (Mt 6,19ff.), eigentlich nichts wert sein sollen, im Vergleich mit dem himmlischen Lohn? Weshalb wehren sie sich so verbissen gegen jedes tatsächliche oder vermeintliche Unrecht, das ihren Kirchen geschieht? Warum rufen sie nach Bütteln, wenn ihresgleichen ein Haar gekrümmt wird?61 Weshalb sieht eine beleidigte Kirche auf die Wahrung des Religionsfriedens und verlangt das Eingreifen des Staatsanwalts? Warum fordern Christen für sich so gern die nicht von ihnen erkämpften Menschenrechte ein? Weshalb verlangen sie gar jene Toleranz, die sie selbst, als sie noch gesellschaftsmächtig waren, kaum je zu üben bereit waren? Weswegen vertrauen sie nicht einfach der Gerechtigkeit ihres Gottes? Soll diese auf jene Fälle beschränkt sein, in denen Nichtchristen betroffen sind und hauptamtliche Christen - wie der Stellvertreterpapst Pius XII. in Sachen Endlösung - beredt schweigen?
Heine: »Am widerwärtigsten aber ist der Hochmut der Priester, wenn sie für die Dienste, die sie dem Staate zu leisten glauben, auch auf dessen Unterstützung rechnen dürfen, wenn sie für die geistige Fessel, die sie ihm, um die Völker zu binden, geliehen haben, auch über seine Bajonette verfügen können. Die Religion kann nie
schlimmer sinken, als wenn sie solchermaßen zur Staatsreligion erhoben wird; es geht ihr dann gleichsam ihre innere Unschuld verloren, und sie wird so öffentlich stolz wie eine deklarierte Mä-
tresse.«62 Dieser Stolz hatte bekanntlich seine Folterfolgen.
In diesen Zusammenhang hinein gehört auch die Bemühung, den
Hinweis auf Gott, den das Grundgesetz enthält, zu erhalten und jene, die aus theologischen oder nichttheologischen Gründen die Präambel gottfrei gestalten möchten, auffällig militant anzugehen.
Warum können die Befürworter des Gottbezugs nicht argumentie-
ren wie andere auch? Weshalb fallen ihnen im Dialog mit anderen
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