Sex und Folter in der Kirche
etwa umkehren und Vergebung finden« (Mk 4,10-12). Nichts anderes als ein
154
Jünger-Bericht, der selbst die ansonsten überall beworbene Erlö-
sung einschränkt, auf seinesgleichen beschränkt, für Verstehende reserviert und die da draußen ihrem Schicksal überläßt! Nicht zufällig ist gesagt worden, daß es »Jesus« ganz offensichtlich »an Mitgefühl und Wissen um die tragische Situation, in der Menschen leben«, fehlt.43
»Während er noch zu den Volksscharen redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen und wollten ihn sprechen ... Er sagte: Wer ist meine Mutter, wer sind meine Brüder?
Und streckte seine Hand aus und zeigte auf seine Jünger: Siehe, meine Mutter und meine Brüder. Denn jeder, der den Willen meines Vaters im Himmel tut, ist mir Bruder, Schwester, Mutter« (Mt
12,46-50). Bei Lukas liest es sich ähnlich: »Es rief eine Frau aus der Menge ihm zu: ›Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat!‹ Er aber erwiderte: Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes gehorsam hören« (Lk 11,27 f.).Diese Reden schlagen menschlichem Empfinden ins Gesicht; sie sind nur mit Hilfe einer inhumanen Deutung zu retten. Der mühselig anerzogene und mühevoll erworbene Gehorsam dem Vater-Gott gegenüber
soll immer besser als die natürliche Liebe selbst zur eigenen Mutter sein. Die Frau, deren Mehrbesitz (Brust und Schoß) jene Ruferin von Frau zu Frau preist, wird in patriarchalen Verhältnissen und Religionen grundsätzlich abgewertet: Solche Vorzüge gegenüber den Männern dürfen in der Männergesellschaft nur als Minderbesitz gelten44.
Das Evangelium macht keine Ausnahme. Die neue Religion hebt
sich nicht von ihren Vorgaben ab. Kein Zufall, daß der Jünger-Jesus keine anerkennenden oder gar liebevollen Worte für seine Mutter findet.45 Sie ist für ihn die Gebärende, das Weib - eine Anrede, die für die Ohren seiner Zeitgenossen noch skandalöser klingen
mochte als für uns. Und der ehrgeizigste Jünger Paulus hält diese Maria offenbar für so belanglos, daß er nicht einmal ihren Namen nennt.46
Der historische Jesus war nicht das Kind einer Jungfrau.47 Die Diskussionen um eine Jungfrauengeburt sind typisch provinziell; sie führen nirgendwohin, haben keinen oder nur einen beigelegten praktischen Sinn für den Glauben. Der Boden der Realität: Dieser Mann, ein jüdischer Prediger (wie ihn das New Shorter Oxford English Dictionary seit 1993 bestimmt)48, stammt aus einer Ver-155
bindung zwischen einer Frau namens Maria und einem Mann mit
Namen Joseph.49 Er selbst sagte nicht ein einziges Mal etwas anderes. Doch der aufkommende und lyrisch ausbaufähige »Jesus«- und Marienkult mußten Legenden präsentieren. Schließlich konnte der Heiland der Welt nirgend anders als an wunderbarem Ort geboren sein, zu dem Hirten, Weise und Engel wallfahrteten.50 Und noch etwas später: Die Trägerin des neuen Frauenideals der Christenheit sollte nicht als Witwe eines jüdischen Zimmermanns identifiziert werden können.51
Ein Blick auf die spätere Jüngerschaft: Die Inquisition nannte einen ihrer gräßlichsten Folterapparate »Eiserne Jungfrau« oder
»Schmerzensreiche Gottesmutter«. Es handelte sich um eine in
Frauenform gegossene hohe Gestalt aus Eisen, in die der Ketzerei Verdächtigte hineinsteigen mußten, um langsam von spitzen Dornen gefoltert oder zu Tode gepreßt zu werden.52
Auch daß »Jesus« unverheiratet gewesen sein soll, ist kaum
historisch.53 Es hatte aber seine Jünger-Methode, daß er zu einer Art männlichen Jungfrau stilisiert wurde.54 Sexualität mit ihm oder mit einem seiner Gefolgsleute zu verbinden erschien einer Kirche unpassend, die von Eunuchen um des Himmelreiches willen ge-gründet (Paulus55!) und gelenkt wurde. Wieviel Unheil dieses Vorgehen über konkrete Menschen brachte, bezeugen Geschichte und Gegenwart des Zölibats. Das aber schert richtige Jünger kein biß-
chen. Was sie wollen: Alles muß interessenbestimmt, geplant und entsprechend verortet sein. Natürliche Familienbande waren daher, kostete es, was es wollte, aus Sicht der Jünger-Söhne zu zerstö-
ren, auf daß sich neue Vaterschaft und Sohnschaft durchsetzten.
Nun spricht bloß noch »Jesus«, also nicht der Sohn einer lebendigen Frau, nicht der Vater eigener Kinder, sondern ein asexuell zugerichteter, zu einem Lebewesen ohne Frau und Kinder umgedrehter Sohn des patriarchalen Gottes. Diese Rede liegt im Interesse jener Jünger, die wichtiger sein
Weitere Kostenlose Bücher