Sex und Folter in der Kirche
wollen als alle anderen und die deswegen nicht nur auf ihren Gehorsam pochen, sondern auch auf den zu erwartenden Lohn.56
Kein Wunder, daß die Feindesliebe57 »Jesu«, nicht gerade eine neutestamentliche Spezialität58, von ihrem vermeintlichen Erfinder mehr gefordert als verwirklicht wird. Die Worte gegen seine Gegner, die dieser Heiland finden darf, wirken nachdrücklich schroff, und der größte Morallehrer aller Zeiten ist häufig bar jeden Erbar-156
mens.59 »Ihr habt den Teufel zum Vater«, lassen ihn die Jünger zu den jüdischen Gegnern sagen, »und ihr wollt genau das tun, was jener will, dieser Mörder von Anbeginn« (Jo 8,44). Diese Stelle richtet sich nicht gegen Massenmörder, wie vermutet werden
könnte, sondern an Menschen, deren Nachkommen - nicht zuletzt unter Berufung auf diesen kriminellen Text - von späteren Jüngern, Christen, erbarmungslos verfolgt und vernichtet wurden!
Den »Heiden« ergeht es wenig besser. Ihr Gebet heißt der Erlöser der Welt abschätzig Geplapper (Mt 6,7), bevor er zum patriarchalen Hochgebet »Unser Vater« ansetzt. Derselbe Meister dürfte die
»Heiden« der Welt meinen, wenn er davon spricht, die Jünger
sollten das Heiligtum nicht den Hunden geben und die Perlen nicht vor die Säue werfen (Mt 7,6). Er geht sogar so weit, eine griechische Frau anzuherrschen, die ihn um die Heilung ihres Kindes bittet:
»Füttern wir erst die eigenen Kinder; es gehört sich nicht, denen das Brot zu nehmen und es Hunden vorzuwerfen!« (Mk 7,27). Erst als die Mutter sich erniedrigt und mit den Hunden vergleicht, erbarmt sich der Wundertäter. Wahrscheinlich findet sich kein anderer religiöser Führer als »Jesus«, dessen Botschaft so voller Drohungen gegenüber Andersdenkenden und so voller Verheißungen für An-hänger ist.60 Auf diesem Humus mußte die Folterbereitschaft vieler überzeugter Christen aufschießen und gedeihen.
In dem fundamentalistisch angelegten61 Evangelium nach Mat-
thäus, das als Lieblingsevangelium der katholischen Kirche bezeichnet wurde,62 werden Andersdenkende niedergemacht: Das
Judentum ist, falls es außerhalb der bekehrten Gemeinde »Jesu«
bleibt, verstockt und sündig; seine Sprecher sind Heuchler, blinde Narren, Schlangen, Natterngezücht, Kinder des Teufels, der Hölle.
Bei Matthäus stehen die beiden Stellen, die in der Geschichte des Christentums als Rechtsgrundlage für die Verfolgung und Ermordung der Juden herhalten mußten: der Satz von der Verstoßung
zugunsten der wahren Jünger (Mt 21,43) und die sogenannte
Selbstverfluchung der Juden (Mt 27,25). Das dort genannte Blut
»Jesu« kam in der Tat »über uns und unsere Kinder«! Doch wer
vergoß es, wenn nicht die Christen? Auf wen, wenn nicht auf diese, wollte und konnte sich Hitler berufen?63
Keine Ausnahme. Auch das späte Evangelium nach Johannes,
das wegen seines intellektuellen Niveaus als Meisterleistung gepriesen und von Luther als das »einzig zarte, recht Hauptevangelion«
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den drei anderen vorgezogen wird,64 ist von einem generellen, grundsätzlichen AntiJudaismus gekennzeichnet.65 Die Kunstfigur, wie Johannes sie benutzt, ist verbal äußerst gewalttätig: »Jesus«
beschimpft und verdammt seine Landsleute, wo immer er mit ihnen zusammentrifft. Er spricht ihnen jedes Gottesverständnis ab (Jo 5,37f.). Hin und wieder tut er, der geborene Jude, sogar so, als seien sie für ihn Fremde und Ausländer. Es ist auszuschließen, daß dieses wohl erst zu Beginn des zweiten Jahrhunderts entstandene Evangelium ein authentisches Jesus-Wort oder eine Botschaft des historischen Jesus enthält.66 Die Distanz »Jesu« zum auserwählten Volk ist streng, weil die neue Gemeinde, die sich mittlerweile noch höher erwählt sehende Jüngerschaft, es so will. Jetzt ist der Graben zwischen Christen und Juden aufgerissen, und Christen, nicht Juden, waren es, die ihn gruben. Jetzt wird nur noch auf die Gegner
eingeschlagen.
Paulus, eine zunächst für ihr »schnaubendes Drohen und Mor-
den« (!) gegen die Jünger67 berüchtigte Persönlichkeit, wird nach seiner Bekehrung den krassen AntiJudaismus fortsetzen und steigern.68 Sein Haß ist allerdings, ebenso wie sein Denken in Kategorien der Endlösung (l Thess 2,15f.), nur ein Beispiel für die Gewaltbereitschaft von Christen gegenüber Andersdenkenden. Die
Kirchengeschichte wird es beweisen.
Wer gewohnt ist, das Evangelium als Gotteswort zu betrachten, und wer mit ansieht, wie kostbare Evangeliare in Domen beweihräuchert und einer
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