Sexbewusstsein - So finden Sie erotische Erfuellung
die Komplimente, nicht er mir, also eher gegensätzlich zur üblichen Rollenverteilung.»
Ein gutes Stichwort. Denn es scheint, als ob Marc sich die Hosen hat ausziehen lassen (auch ein Grund, warum bei Meike nicht mehr so viel Verlangen aufkommt). Der Hintergrund offenbart sich, als ich frage:
«Wie hat er reagiert, als Sie am Wochenende Ihren Frust rausließen?»
«Er war sehr erschüttert, fing an zu weinen», erzählt Meike. «Es ist ihm extrem wichtig, mich glücklich zu machen. Sobald ich nicht mehr lache und strahle, denkt er leider, dass er etwas falsch gemacht hat. Äußere ich auch nur die kleinste Kritik, ist er verunsichert. Manchmal bin ich nur müde, aber er bezieht das sofort auf sich. Es ist nicht so, dass ich meine Launen an ihm auslasse. Er ist oft sehr abhängig von meiner Stimmung. Ich führe das darauf zurück, dass ich ihm sehr wichtig bin.»
Hier liegt Meike falsch! Er ist ihr ja auch sehr wichtig, und trotzdem macht sie ihre Stimmung, ihr seelisches Gleichgewicht nicht derart von ihm abhängig. Marc begibt sich völlig unbeabsichtigt in die Rolle des abhängigen braven Söhnchens, der alles tut, damit Mama glücklich und zufrieden ist. Dadurch gerät Meike in die Rolle der Mutter, wie er sie sieht und haben will: auf einem hohen Sockel, unantastbar, «heilig» (dieser Mechanismus läuft noch häufiger ab, wenn die Frau tatsächlich zur Mutter wird, also ein Kind bekommt!).
Wenn der Partner zur Bezugsperson wird, rutschen viele von uns unbewusst auf eine «familiäre» Gefühlsebene, und dann wird auch der Partner mit jemand Familiärem gleichgesetzt: Mutter, Bruder, Schwester, Vater. Bei manchen ist das so ausgeprägt, dass sich die Lust auf den Partner komplett abstellt – etwa bei Benny (S. 71f.). Bei anderen geht sie nur zum Teil verloren, dafür werden aber schmutzige, «geile» und aggressive Formen von Sex inakzeptabel. So geht es auch Ines, Vera, Andreas und vielen anderen in diesem Buch.
Mit der inneren Mutation zum braven Sohn oder zur braven Tochter erwacht auch die Angst, etwas falsch zu machen, weswegen viele lieber gar nichts machen und abwarten. Und so hat Marc unter anderem seinen
Sex-Drive
verloren.
«Sie sagt, sie empfindet uns oft wie ‹Bruder und Schwester›, und Sex kommt ihr dann nicht ‹richtig› vor»,
schrieb mir ein Mann, der seit sechs Jahren in einer On-off-Beziehung feststeckt: Jedes Mal, wenn es enger wird, stellt die Freundin den Sex ab. Leider läuft diese «Bruder-Schwester-Dynamik» in sehr vielen Beziehungen ab; und vielleicht spielt zusätzlich ein Näheproblem hier hinein. Das wird dann zum Sexproblem, wenn die Bindung fester, die Nähe größer (und eventuell als erdrückend empfunden) wird. Dann können unter anderem unbewusste Verlustängste entstehen, die sich wiederum auf die Lust auswirken.
Überhaupt verträgt jeder Mensch nur ein gerüttelt Maß an Nähe; der eine mehr, der andere weniger, aber niemand kann grenzenlos viel vertragen, zumindest nicht über längere Zeit.
Da bei körperlicher Intimität sehr viel Nähe entsteht, kann das, falls die Bindung auch sehr eng ist, zu viel werden. Bei etlichen Paaren wird die Balance zwischen Nähe und Abstand in erheblichem Maß über den Sex reguliert; und da das meist unbewusst geschieht, sorgt es für eine Menge Verwirrung.
Sexuelle Zurückhaltung innerhalb einer Beziehung kann auch ein unbewusster Schutz der Seele vor Verletzungen sein.
Je näher wir jemanden gefühlsmäßig
und
sexuell an uns heranlassen, desto größer ist auch die Gefahr, verletzt zu werden (z.B. dass man scharf kritisiert, abgelehnt oder verlassen wird). Je mehr wir uns einer anderen Person öffnen, desto verwundbarer werden wir. Sich jemandem ganz zu öffnen, mit Leib und Seele, kann sehr viel Glück mit sich bringen, aber eben auch Leid. Diese Gefahr ist natürlich bei jemandem, dem wir
nur
unseren Körper oder
nur
unsere Zuneigung schenken, nicht so hoch. Deswegen fällt es vielen wesentlich leichter, sich in einer lockeren Liaison sexuell gehen zu lassen.
Meike und Marc sind noch nicht so lange zusammen, vielleicht braucht er noch ein bisschen Zeit, um die innere Sicherheit zu gewinnen, dass er auf ihre Liebe vertrauen kann. Ich rate Meike auch, ihm zu helfen, seine eigenen seelischen Mechanismen zu erkennen, und ihm offiziell die «Erlaubnis» zu geben, wieder wie früher mit ihr umzugehen – also beim Sex das Luder in ihr zu sehen und mit ihr zu machen, was er will; ihn zu motivieren, mehr «Eigen-Sinn» zu
Weitere Kostenlose Bücher